Foto: In der Höhle der rechten Dinosaurier. Susi Wirth, Thomas Schneider und Iris Albrecht (v.l.) © Nilz Böhme
Text:Ute Grundmann, am 8. Oktober 2017
Er erhebt sein Glas auf Heinrich Himmler und dessen Idee. Dabei trägt er zur schwarzen SS-Uniform bodenlange Schwingen aus schwarzen Federn. Ein Dinosaurier, der in der alten, „schönen“ Zeit verhaftet ist, das aber leider, leider verstecken muss. Aber wer weiß, vielleicht nicht mehr lange. Dieser Moment aus einer makabren Himmler-Geburtstagsfeier ist eine von vielen eindrücklichen Szenen, mit denen Susanne Lietzow Thomas Bernhards „Vor dem Ruhestand“ im Schauspielhaus Magdeburg inszeniert hat.
Eine Bühne zum Frösteln. Klavier, Sessel, Rollstuhl, Voliere stehen so vereinzelt im kalten Raum (Bühne und Kostüme: Aurel Lenfert) wie die wenigen Menschen darin. Auf dem Bügeltisch am linken Rand werden nacheinander der Talar des Richters, dessen SS-Uniform und eine KZ-Häftlingsjacke landen, penibel-liebevoll geglättet von Vera (Iris Albrecht). Ihr ragt unterm feinen Faltenrock ein langer Saurierschwanz hervor – auch sie ein Urzeit-Viech. Doch viel mehr an ironischem Kommentar erlaubt sich die Regisseurin nicht, sondern inszeniert zu Beginn dieser unheiligen Allianz der drei Geschwister einen furiosen Frauenstreit. Das ist vor allem für Iris Albrecht ein Parforceritt zwischen rechter Gesinnungsnörgelei („wer arm ist, ist selber schuld“) und Hass auf ihre linke, sozialistische Schwester Clara (Susi Wirth), die nach einem Bombenangriff im Krieg im Rollstuhl sitzt. Der haut Vera nicht nur den „Zeitungsschmutz“ um die Ohren, den sie liest, sondern wickelt auch ihren Kopf darin ein. Doch Clara ist, wenn auch meist stumm, nicht weniger präsent: Mal giftet sie mit schneidender Stimme, mal macht sie nur durch die Körperhaltung ihren Ekel deutlich. Die Kleider sind fein, der Schmuck glitzert – und verdecken doch nur falsche, scharfzüngige Freundlichkeit. Da seziert die Inszenierung sehr fein die vergiftete Schwestern-Beziehung, ehe mit Lichtflackern und Motordonner der Herr im Haus erscheint: Der rechte Richter Rudolf (Thomas Schneider), der sich vor dem Ruhestand fürchtet, sich aber auch freut, endlich seiner braunen Gesinnung frönen zu können. Erst aber mault er über die frechen „Judenbuben“, die ihn, das höhere Lebewesen, auf der Straße angerempelt haben. Parallelen zu jenen, die heute wieder meinen, das müsse man doch mal wieder sagen dürfen, braucht Susanne Lietzow gar nicht aufzuzeigen, sie sind deutlich genug. Und wieder erlaubt sich die Regisseurin in diesem bürgerlich-biederen Haushalt eine ironische Brechung: Wenn Vera am Flügel sitzt, perlen die Töne weiter, als sie die Finger von den Tasten nimmt.
War manchem bis hierher noch nach Schmunzeln zumute, wird es nach der späten Pause endgültig rabenschwarz. Da ist man, mit Beethovens Neunter als Auftakt, mitten in der alkoholgetränkten Geburtstagsfeier für Himmler. Clara ist fast nackt im Rollstuhl zusammengesunken, Rudolf brüllt heiser, röhrt sonor. Und dann öffnet Vera das Familienalbum. Auf die Rückwand projizierte Schwarzweiß-Fotos: Onkel Rudolf auf dem Weg an die Front in Polen, ein Himmler-Foto richtet die Pistole direkt ins Publikum. Rudolf marschiert wie früher durchs Lager „in der frischen Luft“, Vera begeistert sich an schönen deutschen Städten und ekelt sich vor den „schrecklichen Gesichtern“ deportierter Juden. Da ist die gut dreistündige Inszenierung bitterböse und konsequent: Denn am Schluß wird über den drei unheiligen Geschwistern schwarzer Moorschlamm ausgeschüttet, der auch aus dem Klavier quillt und die Wände schwärzt. Furioses Ende einer packenden Inszenierung.