Foto: "Klang des Regens" am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Anne Fritsch, am 7. Juni 2021
1904, Namibia. Aufstände der Herero und Nama werden in Namibia von der deutschen Kolonialmacht niedergeschlagen. Generalleutnant Lothar von Trotha ordnet einen Völkermord an, lässt die Geflüchteten in der Wüste verdursten und auf sie schießen. – Ausgehend von diesen historischen Ereignissen entwickelten die Regisseurin Miriam Ibrahim und die Autorin Caren Jeß ein Stück für das Staatstheater Augsburg: „Klang des Regens“. Die zugrundeliegende Frage: „Wie schreiben sich die schmerzhaften Erfahrungen unserer Vorfahren in unsere Körper und in unser Verhalten ein?“ Eine spannende Frage.
Entstanden ist ein Zwei-Frauen-Stück, das beleuchten will, wie traumatische Erlebnisse und Schuldgefühle über Generationen fortleben. Da ist die Großmutter, eine weiße Deutsche, die den Nationalsozialismus unterstützt hat, „Teil einer Ideologie“ war, „die darüber richtete, wer leben darf und wer nicht“. Und da ist ihre Enkelin Mina, deren Vater wohl aus Namibia stammt. Die Großmutter ist gestorben, bevor Mina ihr die Fragen stellen konnte, „die richtig weh tun“. Weil sie sie noch nicht kannte, weil sie noch ein Kind war. Nun steht die Enkelin also am Grab der Großmutter und tritt in einen imaginären Dialog mit ihr, um das Schweigen, das alles andere übertönt, zu brechen. Das Stück springt immer wieder in die Vergangenheit, in kleine Szenen zwischen Großmutter und Enkelin, Unterhaltungen über alltägliche Begebenheiten, die alle bedeutungsschwanger aufgeladen werden. „Es hilft ja alles nichts“, das war die Standard-Reaktion der Großmutter auf alle Widrigkeiten des Lebens. Resignation statt Aufbegehren, Erdulden statt Anklagen.
Wahrscheinlich hätte sie ihrer Enkelin ihre Fragen auch damals nicht beantwortet. Es bleibt also ein großes Schweigen, in dem man sehr deutlich den Regen hört, der immer wieder eingespielt wird. Was der titelgebende Regen für eine Bedeutung hat, bleibt dabei leider ebenso unklar wie so vieles andere. Denn nicht nur die Großmutter schweigt zu den entscheidenden Fragen, auch Autorin und Regisseurin begnügen sich mit vagen Andeutungen. Anscheinend hatte der Vater der Großmutter irgendetwas mit Afrika zu tun, wohl mit dem Kolonialismus. Was genau war seine Rolle? Wo sind eigentlich Minas Eltern? Warum kann sie sie nicht fragen? Wer ist ihr Vater? Und wie wurde er ihr Vater? Wo sind ihre Eltern sich begegnet?
„Wo die Erde lehmig wird, wo Sand sich mit ihr mischt, da treffen sich meine Ahnen. Weit vor mir – und tief in mir – wurzeln sie“, sagt Mina einmal. Das ist schon sehr pathetisch. Und da hätte man dann doch gerne etwas mehr erfahren. Man kann nur ahnen, was womöglich passiert ist: die arische Tochter, die ein Kind mit einem Afrikaner bekommt; der Urgroßvater, der selbst Kolonialist war. Zweimal lässt Miriam Ibrahim historische Briefe aus dem Kontext des Namibia-Genozids einlesen, die aber ohne erkennbaren Zusammenhang zur Geschichte der beiden Frauen bleiben. Ibrahim und Jeß belassen alles in einer Sphäre des Esoterisch-Rätselhaften, versetzen die Frauen in eine artifizielle Umgebung mit Metallstelen und kleinen Sandbergen (Bühne: Nicole Marianna Wytyczak).
Die Schauspielerinnen Ute Fiedler und Maya Alban-Zapata verfallen mal in bedeutungsschwere Pausen, mal in hysterische Tänze, die wohl Ausdruck der Traumatisierung sein sollen. Nur welcher? Indem dieser Abend, der das Schweigen zum Thema macht, selbst die wesentlichen und nötigen Anknüpfungspunkte verschweigt, verweigert er den Zugang. Es bleibt ein Rätsel, was die Figuren umtreibt. Man erfährt nicht, was los ist – und darum interessiert es einen auch irgendwie nicht. Wenn die Enkelin von dem Genozid berichtet, tut sie das im Tonfall einer Lehrerin im Unterricht. Die persönliche Verbindung wird nicht erklärt, nur angedeutet, dass es eine gibt. Es hätte viel gegeben am Thema und in der Figurenkonstellation, das spannend gewesen wäre. Das wurde nur leider nicht verhandelt an diesem regnerischen Abend in Augsburg.