Foto: Die Oper "Lola rennt" nach dem gleichnamigen Film von Tom Tykwer in Hagen. Kristine Larissa Funkhauser (Lola) © Klaus Lefebvre/theaterhagen
Text:Stefan Keim, am 10. März 2014
Dieser Film scheint sich überhaupt nicht für eine Opernadaption zu eigenen. „Lola rennt“ von Tom Tykwer mit der großartigen Franka Potente in der Hauptrolle ist ein musikalisch strukturiertes Schnittgewitter, eine cineastische Explosion, ein Spiel mit der Zeit. Die Grundhandlung ist ein typischer Thriller: Lolas Freund Manni hat eine Plastiktüte voller Geld verloren, sie muss in 20 Minuten 100 000 Euro beschaffen, sonst ist Manni erledigt. Lola rennt. Sie schafft es nicht und stirbt, bekommt eine zweite Chance. Nun stirbt Manni, und wieder wird die Uhr zurück gestellt, Lola darf noch mal ran, wie im Computerspiel. Schließlich schafft sie es.
Der Komponist Ludger Vollmer, dessen Umsetzung von Fatih Akins Film „Gegen die Wand“ großen Erfolg hatte, übernimmt nur die Grundstruktur dieser Handlung. Zusammen mit der Librettistin Bettina Erasmy hat er einen neuen Überbau entwickelt. „Der Mensch, der Mensch“, raunt es zu Beginn, „die geheimnisvollste Spezies unseres Planeten.“ Am Ende steht die Ewigkeit. Drunter geht´s nicht. In Hagen ist Herr Zeit die meiste Zeit auf der Bühne, ein etwas diabolisch und etwas debil wirkender Showmaster im Blink- und Glitzerkostüm. Dadurch rutscht Roman Hovenbitzers Inszenierung überdeutlich ins Surreal-Märchenhafte.
Mit den Kinobildern kann das Theater nicht wetteifern, das Regieteam versucht es gar nicht. Ausstatter Jan Bammes abstrahiert die Handlung sehr stark. Im Mittelpunkt der Bühne steht ein spiralförmig nach oben laufender Weg, auf dem Lola und der sehr bewegliche Chor rauf und runter rasen. Ein Overheadprojektor ist häufig im Einsatz. Der Laborcharakter des Spiels mit der Zeit gerät dadurch in den Fokus auf Kosten der Spannung. Denn wer gerade wen bedroht, woher Gefahr kommt, bleibt unklar. Die Texte sind nur selten verständlich, eine Übertitelung gibt es nicht. Das alles senkt die direkte Wirkung des Stücks.
Dennoch ist „Lola rennt“ ein gelungener Abend. Was der Szene an aufwühlender Energie fehlt, liefert Ludger Vollmers Musik. Rhythmisch skandierende Chöre, ekstatisch sich wiederholende Motive wie in der amerikanischen minimal music – oder noch mehr in Michael Nymans Kinosoundtracks -, leise, lyrische Passagen, wenn die Zeit zwischendurch still steht – Vollmer schöpft aus dem Vollen, lässt es krachen und flüstern, bedient sich im großen Stilrepertoire der Postmoderne. Das Philharmonische Orchester Hagen musiziert lustvoll und präzise unter Leitung von David Marlow. Kristine Larissa Funkhauser – die schon die Hagener Aufführung von Vollmers „Gegen die Wand“ trug – ist eine agile, kämpferische, im Dreck des Daseins an die Liebe glaubende Lola, zwischentonreich, ehrlich, mit der nötigen Sportivität. Auch Raymond Ayers überzeugt als Manni, vor allem in den subtilen, nachdenklichen Tönen. Die Oper leidet etwas an ihrem überambitionierten Libretto, aber Ludger Vollmer zeigt Wege zu einem heutigen, populären Musiktheater. Großes Lob auch ans Theater Hagen, das nicht nach Uraufführungen schielt, sondern das in Regensburg uraufgeführte Stück mit Elan und Engagement nachspielt.