Foto: Mehr als ein Solo: Meg Stuart in "Hunter" am HAU Berlin © Iris Janke
Text:Anna Volkland, am 27. März 2014
Meg Stuart misstraut Worten. Sie sagt das selbst. Wenn man nicht schweigen will oder kann, ist es den Versuch wert, sich Zeit und Raum zu nehmen und sehr viele Worte zu machen, dabei alles gleich wichtig zu nehmen, Bilder, Klänge, Bewegungen, Materialien dazu zu bringen, von allem viel und alles nach-, neben- und übereinander zu zeigen, Fiktion und Wahrheit zu mischen, Dokumente und Atmosphären, Erinnerungen und Träume, Sicht- und Unsichtbares, Gedanken Anderer und eigene. Um das Eigene geht es vor allem, ihm nähert sich „HUNTER“ in mehreren Phasen, oder richtiger gesagt: der Möglichkeit, dass wir Meg Stuarts Eigenem begegnen. Als Künstlerin, als Frau, als Mensch lädt uns Meg Stuart ein, der Welt ein Stück weit mit ihren Fragen und Haltungen zu begegnen, aber auch zu erfahren, wessen Echo sie sind. „I think that changing one’s mind is one of the best things there is.“, hören wir Jonas Mekas nach über anderthalb Stunden feststellen und es ist mehr als gut zu verstehen.
Seit über zwanzig Jahren arbeitet Meg Stuart im Bereich Tanz und Theater an Projekten verschiedenster Formen und Aufführunsformate, aber „HUNTER“ ist ihr erstes abendfüllendes Solo für sich selbst. Der Gedanke an ein Solo, noch dazu in der Kategorie Tanz, führt dabei eher auf die falsche Fährte – „HUNTER“ markiert keineswegs Meg Stuarts Hinwendung zur kleinen Form. Auch die Ankündigung, ihren Körper als Archiv erforschen zu wollen, kann irreleiten: das individuelle, schwer mit Anderen teilbare Körpergedächtnis ist bei Meg Stuart Ausgangspunkt für eine Suche nach Öffnung, Gemeinschaft und Utopien. Man kann in mehrfacher Hinsicht behaupten, dass „HUNTER“ eine große Arbeit mit Hang zum Gesamtkunstwerk ist.
Beteiligt waren neben der performenden Choreographin u. a.: Der Dramaturg Jeroen Peeters, der auch für eine unbedingt lesens- und bewahrenswerte Textfläche mit Äußerungen aus dem Probenprozess und den dort gesammelten Gedanken von Charlotte Selver, Yoko Ono, Miranda July und vielen Anderen gesorgt hat. Der Sounddesigner Vincent Malstaf, dessen Collage aus Tondokumenten, Songs (vor allem der 80er Jahre), elektronischer Musik und Sounds so etwas wie der Fahrplan der Performance ist, vielleicht aber auch das Haus, in dem Meg Stuart umherwandern kann, ein Haus, das übervoll ist und, auch wenn sie selbst nichts tut, beständig erzählt, das so gut amüsieren wie beunruhigen, so gut schweigen wie brüllen kann. Der Bühnenbildnerin Barbara Ehnes, die die Bühne des HAU2 mit einer raumgreifenden Skulptur aus riesengroßen Bastelmaterialien besetzt hat (und tatsächlich beginnt der Abend mit der an einer Glitzer-Moos-Foto-Collage bastelnden Meg Stuart). Der Kostümbildnerin Claudia Hill, die ebenso dem Prinzip gefolgt ist, dass es von allem viel geben muss, Bedeutungen keine festen Kategorien bilden und jede Phase der Performance eine andere Verpackung der Performerin benötigt. Des Lichtdesigners Jan Maertens, der wesentlich die Öffnung oder den (schützenden) Abschluss des Bühnenraums, die Möglichkeiten des Schauens und des Angeschautwerdens gestaltet hat. Und nicht zuletzt des Videokünstlers Chris Kondek, der drei Projektionsflächen mit Fotos und Videoaufnahmen bespielt, eine Komposition aus Schnipseln, Rohmaterial, Bildüberlagerungen, oft Personen, oft Landschaften, der Uneingeweihte erkennt nichts und niemanden – dabei glaubt man oft, Filme könnten Wirklichkeit festhalten.
Die Bühnenumwelt in „HUNTER“ ist so verspielt wie rätselhaft, ein Rhizom, es gibt scheinbar keine Hierarchien der Elemente und Bedeutungen – was diese Welt zeigt und erzählt, ist zufällig wie die Welt in unseren Köpfen. Gleichzeitig ist der Abend sehr genau strukturiert, ein vorbereitetes Programm läuft ab und auch das verbirgt er nicht.
Phase 1: Basteln mit Meg Stuart, Liveübertragung der Detailaufnahmen, private Fotos und andere, Manipulation des Bildmaterials. Später sagt Meg Stuart, sie glaube nicht, dass ihr Vater sich wirklich noch erinnere, wenn er seine Geschichten wieder und wieder erzählt. Bis wir Meg Stuart von vorn sehen, dauert es eine ganze Weile, sie steht, geht, kniet, tanzt nicht, um nach vorn zu schauen, und auch wenn sie es tut, sehen wir kaum ihr Gesicht, es sind Haare im Weg, oft Hände oder Arme. Die ersten Bewegungen sehen aus wie Klischees ihrer eigenen Choreographien, man könnte sie auch extrem komprimierte Extrakte nennen. Dazwischen wirkt sie ratlos, geht umher.
Phase 3 oder 4 oder 5, jedenfalls die letzte: Meg Stuart zieht sich erneut um. Sie hat schließlich und endlich wirklich getanzt, in Stille, mit bestimmten Bewegungsmaterial improvisiert, unzählige Male ihr Gesicht gewechselt. Es gab Momente, in denen sie sehr gelöst und froh wirkte, sehr kurze Momente. Es ließe sich viel darüber sagen, aber jetzt kann nur gesagt werden, dass alles, was bis zu diesem Zeitpunkt geschehen ist, notwendig war, damit Meg Stuart sich eine Rettungsweste anzieht und ein Mikroport aufsetzt und – . Man sage, sie sei scheu, ist das erste, was wir hören, während sie weit weg hinter einem Gazevorhang steht. Wenn man sie aber länger kenne… hm… denke man immer noch dasselbe. Meg Stuart als Entertainerin. Überraschend. Sie spricht dann, immer unverkrampfter, über sehr vieles, unterscheidet nicht zwischen Intimität und Öffentlichkeit, zwischen Banalem und Visionärem. Sie fragt nach unserer Zukunft und es gibt keinen Anlass, irgendein Kalkül hinter den Worten zu vermuten und das ist so selten und außergewöhnlich, dass es (ganz unsentimental) berührt – und viele offensichtlich auch irritiert. Es ist ein sehr besonderer Abend, ein Geschenk.