Foto: Ensemble des Dresdner Staatsschauspiels in "Vor den Vätern sterben die Söhne" © Sebastian Hoppe
Text:Thilo Sauer, am 3. Juni 2022
Wie verlassen, als Fremdkörper stehen riesige Plastikfiguren von Savannentieren in einer Reihe auf der Bühne des Staatsschauspiels Dresden – Elefant, Giraffe, Nashorn, Zebra und Strauß. In der weißen Wand hinter ihnen ist eine Schiebetür und eine Luke wie für einen Kiosk eingelassen. Der Schauspieler Yassin Trabelsi tritt an den Bühnenrand. Auch er wirkt verloren, wie er dort steht und an seinem weißen Anzug nestelt. Leise und ohne Sendungsbewusstsein beginnt er seine Rede – die Rede, die Brasch hielt, als ihm Franz-Josef Strauß den Bayrischen Filmpreis verlieh. Er erzählt von den Widersprüchen, aus denen er seine Kunst schöpft.
Im Hintergrund kommt Martin Blülle auf die Bühne. Begleitet von einer Kamera bewegt er sich mit unnatürlich langsamen und überzeichneten Schritten. Der Rest des Ensembles geht an ihm vorbei und durch die Schiebetür in einen Raum, der vom Publikumssaal aus nicht zu sehen ist. Doch Blülle muss draußen bleiben. Er geht an den Bühnenrand und beginnt zu reden. Die Worte scheinen immer wieder in seinem Mund hängen zu bleiben. Er spricht von einer Fahne, die er nicht aufheben will und ist gleichzeitig derjenige, der genau das verlangt.
Vom Gefühl, nicht zu dieser Welt zu gehören
Der Text stammt aus der Erzählung „Wer redet schon gern von einem Untergang“ aus dem Erzählungsband „Vor den Vätern sterben die Söhne“, der die Grundlage für diesen Theaterabend in Dresden bildet. Der schmale Band erschien 1977 in der BRD, kurz nachdem Thomas Brasch, DDR-Dissident und Sohn eines einflussreichen SED-Funktionärs, ausgereist war. Die Texte wurden begeistert aufgenommen, auch weil die Literaturkritik darin authentische DDR-Kritik erkannte. Doch in den Erzählungen steckt noch mehr: Der Bruch mit der Eltern-Generation und das Gefühl, nicht zu dieser Welt zu gehören. Auch Sebastian Hartmann will zeigen, dass etwas mit der Welt nicht stimmt, dass da Brüche und Risse sind. Deswegen lässt er Blülle immer wieder zu diesem Text zurückkehren, in dem ein Mann in eine Stadt kommt und den Untergang vorhersagt. Er geht an den Tisch, an dem alle feiern, und schreit ihnen sein Wissen ins Gesicht.
Dazwischen führt uns Hartmann eine Welt vor, die aus den Fugen ist. Meistens spielen diese Szenen hinter der weißen Rückwand. Hier hat der Regisseur ein Schlafzimmer mit einem breiten Bett und eine Küche mit langem Tisch und Kühlschrank aufgebaut. Und es regnet beständig. Hier entwickelt der Regisseur bedrückende Situationen, die er mit einer Kamera einfangen und als Schwarz-Weiß-Bilder auf die Bühne projizieren lässt: Viktor Tremmel liegt im Bett mit schmerzverzerrtem Gesicht. Linda Pöppel liegt halb auf ihm und erzählt von einer Frau, die an einer ungewollten Schwangerschaft verzweifelt, während der Vater in den Westen geflohen ist.
Bilderreigen in Schwarz-Weiß
Doch Hartmann nutzt die Kamera nicht nur, um diese traumwandlerischen Bilder zu erzeugen. Hin und wieder kommt doch jemand von der Hinterbühne an den Rand gelaufen und wird dann hektisch von einem Mann mit Tonangel verfolgt. Hartmann stellt den Film als Medium aus, der ja auch für Brasch ein wichtiges Ausdrucksmittel war.
Der Regisseur bedient sich in Braschs Erzählungen, nimmt sich Textstücke und entwickelt darauf teils eindrückliche Bühnensituationen: Ein Mann will fliehen und trifft durch Zufall einen alten Mann, der sich als Vorkämpfer des Kommunismus vorstellt. Torsten Ranft liegt im Bett, blickt eindringlich in die Kamera und erzählt von seiner Vision. Trabelsi steht auf der Bühne neben der Leinwand und blickt unbeeindruckt auf eine Welt voller einengender Kastenbauten. Eine Filmanimation wird zusätzlich auf die Bühne projiziert, in der wilde Tiere aus der Savanne durch die Stadt laufen – Natur und Zivilisation prallen ebenso gegeneinander wie die Generationen mit ihren Wünschen für die Welt.
Leider bleibt der Eindruck von Stückwerk, von aneinandergereihten Ideen, wie einzelne Momente aus Braschs berühmten Erzählungsband auf die Bühne gebracht werden könnten. Ein größerer Bogen lässt sich nur mit viel Mühe in die Inszenierung hineininterpretieren. Leider entsteht so auch ein Gefühl von Länge – obwohl das Stück für Hartmanns Verhältnisse mit zwei Stunden recht kurz bleibt. Aus diesen zwei Stunden kann oder muss sich jede und jeder im Publikum den wichtigsten Moment für sich selbst heraussuchen.