Foto: "Zwischenfälle" am Wiener Burhtheater. © Bernd Uhlig
Text:Joachim Lange, am 24. März 2011
In Wien definiert sich Theater vor allem über die Schauspieler. Und über die Regisseure. Wenn da die richtige Mischung zusammen kommt, dann braucht man nicht einmal ein „normales“ Stück, um einen vielleicht nicht großen, aber doch großartigen Abend zustande zu bringen. „Zwischenfälle“ heißt das gerade im Akademietheater heftig bejubelte Beispiel für so eine Wiener G’schichte. Die deutsche Meister-Dompteuse für den Klassikerernst (und seit einiger Zeit auch für das düstere Bühnenträumen in schnellen Schnitten), ist mit zehn der besten Burgschauspieler und einem Sammelsurium von absurden Kurzdramen und Miniszenen darangegangen, den Sinn des Lebens durch die Brille allgegenwärtigen Unsinns zu erkunden.
Das sieht dann etwa so aus, als wäre das postdramatische Bühnen-Universum Christoph Marthalers explodiert, von Andrea Breth wieder aufgefegt und neu zusammengesetzt worden, um dann, von innen, dunkel zu leuchten. Der Raum, den Martin Zehetgruber dafür gebaut hat, gehört mit zu den Wundern der Wandlungsfähigkeit an diesem Abend. Immerhin brauchen die über 50 Szenen, in denen mehr als 90 verschiedene Rollen zumindest irgendwie glaubhaft angedeutet werden müssen, ihre Orte. Moidele Bickel jedenfalls bleibt mit ihren Kostümen bei einem verdächtig harmlosen Angestelltengrau. Mal gibt es eine Wand mit lauter Türen, mal den absurden Zwischenraum mit dem Riesenloch, den ein Golfball in die Wand geschlagen hat, und dann den nicht ganz so absurden, holzgetäfelten Raum mit dem ganz kleinen Loch mit seinem Blick auf die Welt. Ohne flinke Bühnentechnik in Hochform wäre diese Breth-Ästhetik zu machen.
Die Vorlagen stammen von den so gut wie vergessenen französischen Farceautoren Georges Courteline (1858-1929) und Pierre Henri Cami (1884-1958) und von dem 1942 in der Leningrader Psychiatrie umgekommenen russischen Untergrund Dadaisten Daniil Charms (1905-1942). Bei der Beschäftigung mit deren Texten müssen sie in Wien irgendwie alle so ins kreative Lachen gekommen sein, dass sich auch noch etliche der Situationen und Szenen, die man jetzt sehen kann, ohne diese Autoren, durch die Protagonisten und ihre Regisseurin hindurch, quasi von selbst aus dem Leben dazwischen gedrängelt haben.
Was an diesem Abend vor allem fasziniert, ist die (höchst erträgliche) Leichtigkeit des (Bühnen-)seins, mit der sie allesamt schweben und den Komödianten in sich freien Lauf lassen. Auch wenn es bei den Blackout-Schnitten zwischen den Szenen ziemlich rumort und bis zum Ende eine ganze Reihe von Toten angefallen sind. Hier gibt es eher den schwarzen Humor zum gehobenen Kammerspielslapstick. Da befreit Udo Samel als Purzelbaum schlagender, ziemlich glaubwürdiger Sechseinhalbjähriger seine Mutter vom gewalttätigen Vater, indem er mittels Spielzeugbaum einen Blitz umleitet und am Ende nur noch ein verkohlter Rest von seinem Erzeuger übrig bleibt. Da verliert der so wunderbar alte und zugleich leicht tänzelnde Hans-Michael Rehberg beim gemeinsamen Essen mit Peter Simonischek immer wieder seinen Kampf mit den Spagetti bis sein Kopf tot in den Nudeln landet und der andere dennoch einfach weiterredet und am Ende nach dem Kellner ruft. Da verfangen sich Elisabeth Orth und Udo Samel beim gemeinsamen Suppe-essen in einer wunderbaren Endlosredeschleife, aus der sie wohl nie wieder herauskommen werden. Da entlockt der Dirigent Rehberg der gesamten mit jeweils einem Instrument aufmarschierten Truppe, mit allen Klischees der Musikproduktion ausgestattet, ein herrlich eigensinniges und schräges Konzert aus einzelnen Tönen. Da legt Markus Meyer mit einer virtuosen Walzerparodie einen Brüller aufs Parkett. Man staunt wie urkomisch Roland Koch seine Fassung verlieren kann, wir anzüglich schräg Corinna Kirchhoff über den im Flur nächtigenden Simonischek steigt, wie zickig Andrea Classen ihr in den Schenkel beißt oder wie mühelos Johanna Wokalek von der fetten nackten Hausfrau zu der in der Hochzeitsnacht mit Mama dauertelefonierenden Braut wechseln kann. Oder wie Elisabeth Orth erst die dösige Frau am Telefon ist, die nichts weiß, dann mit Udo Samel in der Gondel fährt oder durch den Raum schwebend, hinreißend dunkel vom Telefonieren in der Nacht singt. Eine der Vorstellungen dieser kultverdächtigen Produktion ist übrigens dem 75. Geburtstag dieser Statthalterin der Hörbiger-Dynastie gewidmet.
Natürlich sind die Szenen auch durch dezente Bezüge irgendwie miteinander verwoben. Doch den Zusammenhang, den schafft das Theater selbst, das sich bei dieser Ballung von Mimen-Macht auch selbst gehörig auf die Schippe nimmt. Man war gespannt auf diese neue Seite von Andrea Breth und ist entzückt über das Resultat. Wenn schon komisch, dann gleich richtig. Also absurd!