Foto: Szene aus Strawinskis "Persephone" © Pascal Victor
Text:Joachim Lange, am 6. Juli 2015
Die Melange aus kunstgewerblicher Szene und musikalischem Pathos, in der Peter Sellars Tschaikowskis „Iolante“ und Stravinskys „Perséphone“ in einem Bühnenbild von George Tsypin im Grand Théâtre de Provence zelebriert, traf den Geschmack des Festspielpublikums in Südfrankreich. Die jetzt von Sellars neu einstudierte Produktion des Teatro Real in Madrid aus dem Jahre 2012 setzt auf bunte Bilder. Immer wieder wird erbaulich geschritten und rituell getanzt. Die Bühne beherrschen ein paar Türrahmen mit rätselhaft geheimnisvollen Artefakten. Im Hintergrund wechseln Prospekte in leuchtenden Farben, wenn die Figuren nicht gerade bedeutungsschwanger Schatten werfen.
Immerhin überzeugt das Orchester der Opéra national de Lyon mit Teodor Currentzis am Pult in der Auftaktwoche in Aix-en-Provence dabei deutlicher, als das Freiburger Barockorchester (als derzeitiges Orchester in Residenz) mit seinen nicht wirklich beglückenden Händel- und Mozart-Beiträgen.
Dass man Tschaikowskis hemmungslos pathetisches und rührseliges Stück „Iolante“ (1892), das von der Macht der Liebe erzählt, die eine blinde Prinzessin sehend macht, auf unterschiedliche Weise ernst nehmen kann, hatte mit ihren beträchtlichen vokalen und gestalterischen Mitteln Anna Netrebko selbst konzertant in Salzburg (außerhalb Rußlands, wo es eh populär ist) bewiesen. Gegen diese Attacke auf das Mitfühlen beim Zuschauer kam die gleichwohl emphatisch leuchtende Katarina Scherbachenko dann doch nicht an. Wobei der Bass Dmitry Ulianov als Iolantes Vater und provenzalischer König René einen machtvollen Eindruck hinterließ, der Tenor Arnold Rutkowski als augenblicklich in Iolante verliebter Vaudemont mit vollem Einsatz an seine Grenzen ging und Willard White als weiser maurischer Arzt Ibn-Hakia mit erfreulicher Form überraschte.
Dass gleichwohl eine Substanz hinter dem Einakter steckt, die sich zu hinterfragen lohnt, wurde etwa von David Herrmann in Metz überzeugend vorgeführt. Bei Sellars, der sich zunehmend als Zeremonienmeister der Gesten und der pseudoreligiösen Andacht generiert – und von dessen packend vergegenwärtigenden Mozart-Interpretationen aus seiner Sturm-und-Drang-Zeit nur noch die putzige Haarpracht geblieben ist – werden dagegen mehr die Schwachstellen ausgestellt. Da klingen der Jubel und die Dankbarkeit für das Iolante durch ärztliche Kunst und die Kraft der Liebe erlangte Augenlicht auf fatale Weise nach einer Verherrlichung mit Beigeschmack. Heutzutage zeichnet sich da (zum Glück nur unsichtbar vor dem inneren Auge des Betrachters) wenn nicht ein Zaren-, oder Stalin-, so doch ein Putinporträt auf dem golden aufleuchtenden Prospekt ab. Jedenfalls dürfte diese Produktion in der Heimat des Komponisten weniger Risiken bergen, als die hintersinnig frivole Eröffnungs-„Alicna“ von Katie Mitchell, die tatsächlich mit dem Bolschoi Theater koproduziert wurde…..
Das unter Leitung des Komponisten 1934 in Paris uraufgeführte Melodrama „Perséphone“ mag für französische Ohren einen besonderen Reiz haben, weil das Libretto von André Gide stammt und durch die Sprecherin die Kulinarik der französischen Sprachmelodie die Musik Stravinskys bereichert. Dass Peter Sellars die getanzten Teile der Geschichte ins hochartifiziell ausgeführte Asiatische verlegt und sich der bestens einstudierte Lyoner Chor ins Ritual einfügt, verschafft dem zweiten Teil dieses Doppelabends ein Eigengewicht. Es geht um jene Zeus-Tochter, die in der Unterwelt landet, dort ihre Erfahrungen mit dem Leid macht, wieder zu ihrer Mutter Demeter auf die Erde zurückkommt und nur von Zeit zu Zeit in die Unterwelt zurückkehrt. Was eine Art göttlicher Kompromiss mit Zeus ist und mit poetischem Charme den Wechsel der Jahreszeiten erklärt. Dominique Blanc als rezitierende Perséphone, Paul Groves, der seinen Eumolpe mit einiger Anstrengung stemmt und vor allem die Tänzer Sathya Sam (Perséphone), Sodhachivy Chumvan (Déméter), Chan Sithyka Khon (Pluto) und Narim Nam (Mercure, Démophoon, Triolème) tragen ihren Teil zu einem Gesamtkunstwerk bei, das seine Wirkung eher trotz als wegen der blankpolierenden Ästhetik von Sellars entfaltet. Die setzt mit dem Gang durch die metaphorischen Türrahmen im einen wie im anderen Stück auf den Wechsel zwischen verschiedenen Welten. Bleibt letztendlich aber im oratorisch, distanzlosen Bestaunen von Wundern stecken.