Nebenfiguren dürfen sprechen
Öziris Entgiftung rückt Figuren in den Fokus, die bei Wagner eher in der zweiten Reihe stehen. Die Erdgöttin und Urmutter Erda etwa, die in Gestalt von Yodit Tarikwa den Bewohnern von Walhall – das sind wir – die Leviten liest. Wir haben es verbockt. Und sind reif für den Untergang. Klar, dass dem hässlichen Zwerg Alberich die Sympathie des Autors gehört. Nils Kahnwald macht sich in direkter Ansprache an das Publikum – eine Spezialität von Rüping – Gedanken über Attraktivität und ihre Kehrseite. Zum Gnom wird man gemacht. Alberich ist das Opfer gesellschaftlich heteronormativer Zuschreibungen. Wie Brünnhilde zu retten ist vor Siegfried und ihrem Vater Wotan: Das ist kein einfaches Geschäft. Und so ganz klar wird das auch nicht in Wiebke Mollenhauers Performance, die sich ohne klares Konzept von der fünf- bis zur 28-jährigen Walküre vorarbeitet. Man merkt an dieser Stelle besonders, dass sich Öziri in einem fremden Terrain bewegt.
Das wird nach der Pause anders. Am überzeugendsten gelingt der chorische Aufritt der Söhne von Wagners Riesen Fafner und Fasolt. Benjamin Lillie und Steven Sowah vergegenwärtigen eindringlich die schmerzhafte Geschichte der europäischen Arbeitsmigration: Die Dringlichkeit ihres Sprechens erwächst, so hat es den Anschein, aus authentischer Erfahrung. Auch die großartige Maja Beckmann nimmt als alternde Göttergattin Fricka für sich ein. Sie hat alle Eifersucht überwunden und geht einem selbstbestimmten Leben in Gelassenheit entgegen. Leider muss auch Beckmann eins der hässlichen Kostüme (Lene Schwind) zwischen Trainingsanzug und Karneval tragen. Und dann schießt der wütende Wotan dazwischen: Der fabelhafte Matthias Neukirch liefert einen furiosen Abgesang auf die Welt des alten weißen Mannes ab.
Christopher Rüping kann sich wie immer auf sein grandioses Ensemble verlassen, viel zu inszenieren gibt es nicht an diesen Bühnenessays, die das Theater als neue Tugendanstalt etablieren wollen. Die rührende Geschichte vom Waldvöglein und dem Drachen zeigt uns den Weg in einer friedliche Zukunft der Koexistenz. Es ist ein bisschen anstrengend, so viel guter Wille.