Foto: Emsembleszene aus der Regensburger Uraufführung von "Vermögend" © Martin Kaufhold
Text:Manfred Jahnke, am 19. Februar 2018
Fesselndes, eigenwilliges Dokumentartheater von Gesine Schmidt als Uraufführung in Regensburg
Gesine Schmidt ist eine spannende Autorin. In ihren Stücken geht es Schmidt stets darum, gesellschaftliche Prozesse offen zu legen, deren Strukturen sonst im Geheimen bleiben. Seit dem zusammen mit Andres Veiel verfasstem Stück „der Kick“ hat sie ihre Methode für ein neues dokumentarisches Theater immer weiter ausgefeilt. Am Anfang der Recherche stehen Interviews und es ist durchaus erstaunlich, was Schmidt ihren Gesprächspartnern dabei entlockt. Dann beginnt die Phase der Strukturierung des Stoffs, die sich vor allem in den Zwischenüberschriften widerspiegelt, sowie ein genaues Konturieren der Sprachcharakteristiken der einzelnen Figuren. Diese Stärken zeigen sich auch in „Vermögend“, einer Auftragsarbeit für das Theater Regensburg. Hier befragte Gesine Schmidt fünf Personen, einen Banker, der ausgestiegen ist, einen Unternehmer, einen Unternehmersohn, eine Stifterin und eine Erbin, also sämtlich Menschen, die mit Geld zu tun haben, wobei die Ausgewählten sich auch mit ihren finanziellen Mitteln sozial engagieren, um diese Gesellschaft für die Zukunft zu sichern.
Wie in ihren anderen Stücken auch, werden die Aussagen der Interviewpartner zu thematischen Schwerpunkten montiert, ohne dass dabei echte dialogische Beziehungen zwischen den Figuren entstehen würden: es sind eher ineinander geschnittene Monologe. Darüber hinaus gibt es keine Vorgabe, an welchem Ort man sich begegnet, noch irgendeinen anderen szenischen Hinweis. Das macht es der Regie nicht leicht. In Regensburg verschließt ein fünfteiliger, jalousieartiger Vorhang, auf dem die einzelnen Figuren sich per Video (Michael Lindner) vorstellen, zunächst die Szene. Wenn dieser Vorhang dann hochgezogen wird, schaut das Publikum auf das Ambiente einer halbverfallenen alten Güterhalle mit einer im Zentrum stehenden Rampe. Monika Frenz, die auch für die Kostüme verantwortlich ist, hat diesen Raum liebevoll mit einer Menge von Details ausgestattet, die in ihrem Naturalismus etwas Surreales bekommen: da arbeiten „vermögende“ Menschen in einem offenbar schon lange unveränderten, diese Tatsache nicht verleugnenden Raum?
Nach der Einblendung der Videos beginnen Spieler auf der Bühne zu agieren, der Ton kommt aber zunächst aus dem Off. Schließlich handeln und sprechen die Akteure, hören sich in wechselnden Besetzungen zu, reagieren aufeinander, suchen die Ansprache zum Anderen oder zum Publikum. Zwar kann die kluge Regie von Mia Constantine den grundsätzlichen monologischen Charakter der Stückvorlage nicht aufheben, aber es gelingt ihr über weite Strecken, diesen vergessen zu machen. Zwischen den einzelnen Themenschwerpunkten lässt sie dabei die Kamera backstage filmen und wir sehen, wie fünf „vermögende“ Leute alte Kleider in Kartons verpacken, sie dann nach außen wuchten, dazwischen auch einen Wasserkocher in Gang setzen oder essen. Constantine hat da sehr genau in den Text hineingehört, in dem alle fünf sich karitativ engagieren.
Die Regisseurin hat ein genaues Gefühl für Rhythmus. Wenn dann noch tolle Schauspieler hinzukommen, steht einem gelungenen Theaterabend nichts mehr im Wege. Und in der Tat läuft das Regensburger Ensemble zu einer grandiosen Form auf. Jede Figur scheint dabei zunächst klischeehaft gezeichnet, entwickelt aber zunehmend ein eigenes Profil, das zu einem unverwechselbaren Charakteristikum wird. Franziska Sören spielt die Stifterin, leicht versponnen, von einem starken Vaterbild sich kaum lösen könnend. Silke Heise ist die verhuschte Erbin, die ihren Erbschaftsanteil ungerecht findet, aber sich irgendwie in ihrem Widerspruch eingerichtet hat – und dann auch wieder nicht. Stefan Schießleder gibt den Unternehmersohn, der aus der väterlichen Firma ausgestiegen ist und sich mit seinem Speedboot auf dem Rennen zwischen Florida und Kuba bewährt hat, mit komödiantischen Tönen: als gestandenen Mann, der weiß, was er will. Michael Heuberger führt einen Unternehmer alten Schlags vor, der bei Null angefangen hat, auf seine Art aufrichtig, schlitzohrig und bieder. Nebenbei: Auffällig oft fällt in diesem Stück über Verantwortung und Vermögen der Begriff „konservativ“.
Den Banker, der seit dem Wandel in der Gesellschaft 2001, wo die mit dem Wort „Kundenorientierung“ verbundene Ausrichtung verschwand, seinem Beruf kritisch gegenübersteht und inzwischen auch ganz ausgestiegen ist, spielt Michael Haake leicht melancholisch. Ihm ist auch das Schlusswort überlassen: „Es gibt keine Guten und keine Bösen in dem Spiel. Das ist wie ein griechisches Drama. Wir sind alle miteinander unschuldig in Schuld verstrickt.“