Foto: Wirklich einträchtig - oder nur fürs Foto? Ralf Beckord als Unternehmer, Peter Posniak als dessen Sohn Jan und Sarah Siri Lee König als seine Freundin und Bloggerin Saliha. © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 15. Dezember 2019
Es scheint unvorstellbar: Die Gegend, in der Touristen den schönen Bodensee mit seinen Weinbergen und das wunderbare Alpenpanorama genießen, ist zugleich die Landschaft in Europa, die am dichtesten von Betrieben der Rüstungsindustrie besiedelt ist. Was ein Tourist wohl nicht unbedingt wissen soll (denn sonst würde er vielleicht nicht hinfahren), das sollten Einheimische definitiv wissen. Und sie wissen es auch, aber sie verdrängen es, weil sie abhängig von dieser Industrie sind, die ihnen und der Politik Wohlstand garantiert. Dieses kollektive Nicht-Wissen-Wollen des Tatbestands, dass mit vor Ort produzierten Waffenteilen wie Raketenlenksystemen in der Welt Menschen getötet werden – weil, wie im Stücktext der Unternehmer argumentiert, es immer Kriege geben wird – , ist das Thema von Annalena Küsperts Theaterstück „Am Wasser“, einer Auftragsarbeit für das Theater Konstanz.
Die Autorin, selbst am Bodensee in Überlingen aufgewachsen, entwickelt dazu eine Parabel, die das Nicht-Sehen-Wollen auflöst in erstes Begreifen, das konsequent zum Handeln aufruft. Küspert arbeitet dabei mit Metaphern wie dem „schwarzen Wasser“: Über Nacht ist das Wasser des Bodensees schwarz geworden, was Wissenschaftler und Politiker auf den Plan ruft, aber bei alten Menschen auch Erinnerungen weckt an die Bombennacht 1944 in Überlingen, wo die Feuerasche den Bodensee verfärbte. Insbesondere die alte Mathematiklehrerin Gerti, von Jana Alexia Rödiger anrührend intensiv gespielt, schmerzt die vertane Chance nach 1945, denn der Bombenangriff sollte die schon damals ansässige Waffenindustrie zerstören. Sie engagierte sich in der Friedensbewegung – aber die Rüstungsindustrie wuchs, mit ihr der Wohlstand. Jetzt hat sie sich zurückgezogen und beobachtet ihre Umwelt. Da ist zum Beispiel die Bloggerin Saliha, die das schwarze Wasser in Flaschen füllt und zum Verkauf anbietet. Sie ist in Jan verliebt, den Sohn des Unternehmers, der sie auch in ihrer Arbeit unterstützt. Weil Saliha aber sehr wohl begreift, dass diese Industrie den Tod vieler Menschen in Kauf nimmt, und weil sie nun zu Demonstrationen aufruft, muss es zwangsläufig zum Konflikt mit Jan kommen, der zu seinem Vater hält. Sarah Siri Lee König spielt die Rolle der Saliha in ihrer Wandlung von der naiven, marktgeilen Bloggerin hin zu einer jungen Frau, die nicht in politischen Kategorien denkt, aber aufrichtig davon überzeugt ist, dass es eine Welt in Frieden – ohne Waffen – geben müsse. Peter Posniak verkörpert den Jan als jemanden, der liebt und versteht und der zwischen den Fronten zerrissen wird. Immer wieder lässt Küspert durchscheinen, dass die Liebe zwischen den beiden trotz aller Ereignisse nicht aufhört; und Sarah Siri Lee König und Peter Posniak beglaubigen das in ihrem Zusammenspiel.
Am Ende kommt es zum großen Showdown: Am Aschermittwoch findet die Demonstration statt. Polizeieinheiten warten vermummt auf ihren Einsatz. Der Unternehmer hat einen Fachmann engagiert, der Anti-Strategien entwickelt. Sein Rat an den Chef: Er solle sein eigenes Auto anzünden – was dieser auch tut und damit die Altstadt von Überlingen (bei Küspert: Unterlingen) abbrennt. Während Leinwand-Bilder und dichter Qualm das Feuer suggerieren, inszeniert Nicola Bremer dazu einen Todesreigen, in dem die Darsteller in immer neuen Kostümen auftreten. Ralf Beckord spielt diesen Unternehmer hier wunderbar aasig und führt beeindruckend die Rhetorik von Menschen vor, die keine Scham zeigen, Waffen herzustellen.
Aber Küspert entfaltet in „Am Wasser“ nicht nur die Ebene des Konflikts der alten Generation (Gerti und Unternehmer) und der jungen Generation (Saliha und Jan), sondern bezieht auch die (lokal)politische und wissenschaftliche Ebene mit ein. Die Regie von Nicola Bremer verstärkt die schon im Text vorherrschende Tendenz, diese beiden Ebenen zu kabarettistischen Glanznummern zu machen. Friederike Drews als Oberbürgermeisterin und Thomas Ecke als Laborant ragen dabei heraus. Für die Bloggerin-Ebene entscheidet sich Bremer für Videos wie auch für die Einspielungen des Regio TV. Ansonsten setzt er auf ein schnelles Spieltempo, wozu ihm Steffi Rehberg, auch verantwortlich für die Kostüme, ein einfaches Bühnenbild gebaut hat. Ein weißer Boden, eine graue Wand, die die Bühne nach hinten abschließt, darüber die Screenwand. Alle Mobiliarteile, die die verschiedenen Orte kennzeichnen, können vom Ensemble herein- und herausgerollt werden. So greifen die Umbauten dynamisch ineinander. Björklund Jönsson hat dazu eine Musik komponiert, die das Geschehen unauffällig begleitet.
Entstanden ist eine Inszenierung, die die Verdrängungsprozesse in unserer Gesellschaft nachdrücklich und schmerzhaft offenlegt. Küspert ist ein spannendes Stück gelungen, das, wenn es auch auf die Region des Bodensees fokussiert ist, über das Regionale hinaus für alle wichtig wird. Denn es stellt die bedrängende Frage: Wie kann es einen Frieden ohne Waffen geben?