Foto: Szene aus "Vastation" von Samy Moussa © Adrienne Meister
Text:Barbara Eckle, am 9. Mai 2014
Für manche mag es eine erfreuliche Botschaft sein, die aus dem Herzen der zeitgenössischen Musiktheaterschmiede nach außen dringt: Die Traditionsoper lebt – beziehungsweise: Sie lässt sich wiederbeleben. Samy Moussa macht es vor, wie man heute eine formvollendete Oper schreibt, als hätte es niemals eine Moderne, niemals eine Post-Moderne gegeben. In seiner bei der Münchener Biennale uraufgeführten Oper „Vastation“ balanciert er traditionalistische Form mit aktuellem Inhalt aus: Moussas dreiaktiges Werk (mit Ouvertüre, Arien, Zwischenspielen und allem, was dazu gehört) spielt im Politmilieu eines Landes ohne Namen und dreht sich um Intrigen und Wahlkampf à l’américaine, um Krieg und Krisen als politische Manipulationsinstrumente, um Korruption und Loyalität, und ja, auch um Liebe.
Die Präsidentin Anna braucht eine Krise, um sich die Wiederwahl zu sichern. Diese schenkt ihr ihr Mann Harry (Jongminn Yoon) in Form seines Alkoholtodes aus Verzweiflung. Doch während sich das private Leben zu Wort meldet, schlägt das öffentliche zu. Der Feind hat Drohnenangriffe gestartet. Zeit die neue Wunderwaffe „Vastation“ einzusetzen: Liebevoll „The Song“ genannt, verbirgt sich dahinter eine „Klangbombe“, die mittels Schall ihre Opfer psychotisch und paranoid macht. Krieg ohne vitale Verluste, unsichtbarer Krieg – für Protagonisten wie Publikum. Denn der Krieg spielt sich fern der Bühne ab und auch die Klangbombe detoniert dankenswerterweise anderswo. So wie im wirklichen Leben. Auf zwei schräg übereinanderliegenden Kuben vor unruhig reflektierenden Lamettawänden entfaltet sich das Kräftespiel zwischen Präsidentin und Familie, Wahlkampagnenmanager, dem General und Geliebten Dimitri und dem Colonel. Flackernde Digitalcodes und sporadische Videoprojektionen sichern die optische Verankerung in der Gegenwart.
Die zuverlässige Qualität von Christine Mielitz’ spannungsvoller Inszenierung und vor allem das hervorragende Sängerensemble erheben die ereignisreiche und sauber gearbeitete Partitur zu einem durchaus präsentablen Opernereignis. Über den Rahmen kann (und sollte) man sich streiten. Eine Figurenaufstellung frei nach Modell Macbeth dient als zusätzliche Stützwand. An Lady Macbeth erinnert vor allem die Präsidentin Anna (Vera Egorova), die mit der fesselnden, unnachgiebigen Intensität ihrer Altstimme aus disziplinierter Machtgier gegen ihre innere Schwäche ansingt. Eine stimmlich wunderbare Ergänzung dazu ist ihre präkorrumpierte und entsprechend unberechenbare Tochter Lola (Anna Pisareva, Sopran). Ihr Ton ist nicht weniger durchdringend, aber weist mit einer etwas geringeren Stabilität auf eine Menschlichkeit hin, die Anna abhanden gekommen ist.
„Vastation“ ist Neue Oper, die auch dem treusten Freund der Konventionen nicht weh tut. Opulentes Blech, harmonisch erweiterte Strukturen, ein heroisch-monumentaler Duktus, tonal vom Scheitel bis zur Sohle – mit den immer wiederkehrenden Anklängen an Strauss und Wagner im Orchester, in den Gesangspartien an Puccini, da und dort auch an Verdi, darf man sich im sicheren Hafen des Altbewährten und Risikolosen wähnen. Der kanadische Komponist kennt den Orchesterapparat und weiß ihn auf maximalen Effekt hin zu bedienen. In Verbindung mit einer Dramaturgie wie sie im Lehrbuch steht (Libretto: Toby Litt), kantablen Partien, die jedes Rollenklischee erfüllen, einer überzeugenden szenischen Personenführung, und einem klar artikulierten, nuancierten Orchesterspiel (Philharmonisches Orchester Regensburg unter Maestro Moussa selbst) darf man das Gesamtpaket als gelungen bezeichnen. Eine tadellose Produktion der Art, wie man sie etwa an der English National Oper oder einem arrivierten Stadttheater hierzulande zu sehen bekommt, wo man sich anstandshalber einmal etwas „Neues“ leisten muss, ohne das Abopublikum zu vergraulen. Sogar an den guten alten Vorhang hat man gedacht. Dass so der Kulminationspunkt von 26 Jahren Münchener Biennale für neues Musiktheater aussieht, kann allerdings schon nachdenklich stimmen.