Foto: Die Dance Company Nanine Linning/Theater Heidelberg © Kalle Kuikkaniemi
Text:Bettina Weber, am 21. Januar 2013
Als zu Beginn der Aufführung langsam die ersten Töne aus dem Orchestergraben emporsteigen und der Nebel unter dem sich öffnenden Vorhang hervor wabert, ist die Spannung im Publikum deutlich spürbar. Das Heidelberger Publikum ist neugierig auf die erste Produktion dieser Choreographin, die Holger Schultze aus Osnabrück nach Heidelberg gefolgt ist. Und die Erwartungen sind groß – Nanine Linning, 2012 mit ihrer Produktion „Voice Over“ für den FAUST nominiert, hat nicht nur das Tanztheater in Osnabrück erheblich inspiriert, sie hat sich überregional längst einen Namen gemacht.
In drei Teilen nähert sich Nanine Linning dem Thema Weltuntergang und der Vorstellung davon, was diese aus dem Menschen macht. Die Produktion besinnt sich auf elementare Kräfte, will der Vorstellung einer Außerkraftsetzung physikalischer Gesetze ins Gesicht sehen und blickt damit in zwei Richtungen; ins Universum und auf den Menschen. Anhand dreier Formen bewegt sich die Inszenierung durch das Szenario der Zurücksetzung allen Lebens auf „Null“. Diese Typen sind die Dominanz (Teil 1), die Angst (Teil 2) und das Sich-Treiben-Lassen (Teil 3), assoziierbar außerdem mit physikalischer Schwere, chemischer Reaktion und schließlich mit Schwerelosigkeit.
Der Dramaturgie entsprechend ist das Kostümbild mal futuristisch, mal reduziert und insgesamt sehr assoziationsreich. Geschaffen hat es Iris von Herpen, mit der Nanine Linning bereits durch mehrere fruchtbringende Produktionen verbunden ist. Neben den Kostümen sind es vor allem die zeitgenössischen Stücke, großartig interpretiert vom Philharmonischen Orchester Heidelberg (Musikalische Leitung: Dietger Holm), die im Zusammenspiel mit den Bewegungen die dargestellten und beim Zuschauer erzeugten Emotionen formen. Dabei sind die atmosphärischen Titel im wahrsten Sinne des Wortes „Progamm“ (unter anderem: „Black Hole“ und „No Air“ von Arvo Pärt, „New Cycle of Life“ von Ralph Vaughan Williams).
Der erste von den drei Teilen der Aufführung zeigt dominierende Bewegungen, Härte, Bedrohlichkeit und an Insekten erinnernde Kostüme. Dieser erste Abschnitt berührt schon, dass sich die Durchschlagskraft der Choreographie aber noch steigern lässt, begreift man erst, wenn man den zweiten und den dritten Teil sieht: Die Angst im zweiten Teil ist nicht wie vielleicht zu erwarten schwach und weinerlich, vielmehr zitternd und beinahe wütend. Die Tänzer, hier durch Bänder mit der Decke verbunden, demonstrieren eine Flucht, die scheitert, sie wollen nach vorn preschen, werden jedoch festgehalten, fallen zurück. Der Mensch ist abhängig von der Natur, dramatisiert durch das Band. Hier sind die Emotionen viel deutlicher gezeichnet als am Anfang. Und im letzten, wohl hoffnungsfrohsten Teil fließen die Bewegungen, passend zum Sich-Gehen-und-Treiben-Lassen weich, beinahe zart wirkt jetzt der Tanz. Die gleichzeitig suggerierte Neugier und die demonstrierte Leidenschaft lassen den Blick auf die „Stunde Null“ ergreifend und hinreißend werden.
Am Ende präsentiert sich der Weltuntergang als Chance und Neuanfang. Und es zeigt sich, dass Nanine Linning es versteht, Dimensionen zu hinterfragen und dabei Überraschungen zu visualisieren. Ihre anmutige Choreographie und ihre starke Dance Company kommen gut an in Heidelberg. Das „I [heart] Heidelberg“-T-Shirt, das Linning sich im Schlussapplaus überzieht, hat sie gar nicht nötig, um sich in der neuen Stadt Freunde zu machen. Das Publikum begrüßte sie zurecht mit überbordendem Beifall.