Foto: Christian Klischat (Hamm) und Philipp Appel © Karl und Monika Forster
Text:Alexander Jürgs, am 6. Juni 2020
Sie passen natürlich in diese Zeit, und man darf darauf wetten, dass sie in den Spielplänen der Herbstsaison keine kleine Rolle spielen werden: die Stücke Samuel Becketts. Denn das Ausgeliefertsein an eine Situation, an der sich nichts ändern lässt, die Aussichtslosigkeit und der Verlust von Handlungsspielräumen, die die Theaterwerke des irischen Literatur-Nobelpreisträgers prägen, lassen sich nur allzu herrlich als Metaphern auf die alle Lebensmomente so umfassend bestimmende Pandemie verstehen. Der von Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln geprägte Alltag: Gleicht er nicht unübersehbar den in die Stagnation gefallenen Welten, die Beckett in seinen Stücken skizziert? So, vielleicht zu einfach, kann man es sehen.
Uwe Eric Laufenberg, der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters, jedenfalls begeht den Wiedereinstieg in den Theaterbetrieb an seinem Haus gleich mit einer Beckett-Trilogie: „Glückliche Tage“, „Warten auf Godot“ und „Endspiel“ kommen auf die Bühne des Großen Hauses, wo nun – statt sonst bis zu 1000 – gerade einmal 200 Zuschauer Platz nehmen dürfen. Dass Becketts absurdes Theater in diese Zeit passt, wird auch deutlich, wenn man sieht, wie wunderbar dabei Abstandsregeln einzuhalten sind. An Corona-Kompatibilität mangelt es einem Stück wie „Endspiel“, uraufgeführt 1957 in London, jedenfalls nicht. Die Figuren darin können gar nicht anders, als auf Distanz zu gehen: Hamm, ein blinder, herrischer Kerl, sitzt gelähmt auf einem Rollstuhlersatz aus Plüschsessel und Brett mit Rädern. Seine Eltern Nagg und Nell, denen die Beine amputiert wurden, sind in zwei Müllcontainern gefangen. Clov, Hamms Diener, der das Dreiergespann versorgt und somit am Leben erhält, ist der einzige unter ihnen, der überhaupt noch laufen kann. Der Hölle, in der die Truppe haust, entflieht er trotzdem nicht – dafür ist er viel zu devot. Und wohin sollte er auch ziehen? Rund um das enge Zimmer mit zwei schmalen Fenstern (im Wiesbadener Bühnenbild von Rolf Glittenberg ausgestattet mit jeder Menge Unrat, mit Zeitungspapier, Pizzakartons und zerknitterten Plastikflaschen), in dem sich das „Endspiel“ abspielt, ist die Welt untergegangen. Gegen diese Apokalypse hilft nur Quarantäne. „In einem Loch“ stecken die Figuren fest.
Uwe Eric Laufenberg hält sich in seiner Inszenierung an die Beckettsche Strenge. Das Licht variiert so gut wie nie, auf Musik wird verzichtet, seine Darsteller lässt er oft in monotonem Tonfall sprechen, was das Zähe der Situation, das Nichtvorhandensein von Perspektiven, sehr plastisch illustriert. Vor allem Christian Klischat als Hamm kann in dieser Inszenierung glänzen: Seine Figur pendelt zwischen Tyrannei und Erschöpfung, in den besten Momenten hat man den Eindruck, dass es ihn zerreißt auf seinem improvisierten Thron. In harschem Ton traktiert er dann seinen Diener, der zwar mit trotzigen Worten zurückschlägt, aber doch bis zum Ende folgsam bleibt. Kühl und mit Gleichgültigkeit reagiert Hamm darauf, dass seine in der Mülltonne liegende Mutter, die eine Hälfte der „verfluchten Erzeuger“, sich nicht mehr regt. Wo nichts mehr zu retten ist, lohnt auch kein Einsatz mehr. Seinem Schicksal fügt sich dieser Hamm – „Es ist zu Ende, wir sind am Ende“ – nur allzu bereitwillig.
Trotz aller Spielfreude, trotz ihrer Klarheit kann Laufenbergs Inszenierung nicht gänzlich überzeugen: Zu routiniert, zu abgebrüht erscheint einem oft, wie dieser Bühnenklassiker hier gegeben wird. Und wirklich originell ist er als Kommentar auf die Krise leider auch nicht. Aber trotzdem: Dass nun endlich wieder gespielt wird, vor Publikum und nicht mehr auf Bildschirmen, bleibt erst einmal eine fantastische Nachricht.