Foto: Sarah Kuffner als verliebte Portia – Szene aus Reynaldo Hahns Shakespeare-Oper „Der Kaufmann von Venedig“, die das Theater Bielefeld über 80 Jahre nach der Uraufführung in Paris als deutsche Erstaufführung herausbrachte. © Bettina Stöß
Text:Christoph Schulte im Walde, am 29. April 2017
Über 80 Jahre nach der Uraufführung in Paris brachte das Theater Bielefeld Reynaldo Hahns Shakespeare-Oper „Der Kaufmann von Venedig“ als deutsche Erstaufführung heraus.
Als Liedkomponist ist Reynaldo Hahn (1874-1947) im Konzertleben einigermaßen gut präsent, auch auf Tonträgern widmen sich bis heute etliche namhafte Interpreten diesem Bereich seines Schaffens, mit dem der junge Reynaldo als komponierendes Wunderkind debütierte und schlagartig bekannt wurde. Hahns Bühnenwerke, darunter sechs Opern, sind dagegen weitgehend vergessen. Jetzt wagt das Theater Bielefeld die Wiederbelebung des dreiaktigen „Le Marchand de Venise“ („Der Kaufmann von Venedig“. Uraufgeführt wurde diese Shakespeaere-Oper 1935 im Palais Garnier an der Opéra de Paris – und Bielefeld präsentiert nun, nach immerhin über 80 Jahren, die deutsche Erstaufführung. Hahn gibt mit der Wahl der literarischen Vorlage seinem bereits in frühester Kindheit aufgekeimten Interesse an den Tragödien und Komödien von William Shakespeare nach – wobei im „Kaufmann“ Tragödie und Typenkomödie ja ineinander übergehen. Oder doch eher nebeneinander stehen? Letzteres legt die Inszenierung des Regisseurs Klaus Hemmerle nahe. Die Ouvertüre gestaltet er als Szene im Fundus eines Theaters, in dem ein gutes halbes Dutzend Schauspieler „Die Reise nach Jerusalem“ spielen. Wer gerade keinen Stuhl mehr ergattern kann, bekommt ein Kostüm vom Garderobenständer in die Hand gedrückt – und damit seine Rolle im bevorstehenden Stück, eben dem „Kaufmann“. Das alles sieht ein bisschen nach venezianischem Karneval aus, wozu die überdimensionale Leuchtreklame „VENICE“ passt, hinter der Shylock, der verhasste jüdische Geldverleiher und seine Tochter Jessica leben.
Reynaldo Hahn und sein Librettist Miguel Zamacoïs folgen weitestgehend dem Shakespeareschen Handlungsverlauf: Kaufmann Antonio leiht sich eine Riesensumme von Shylock, gibt sie an seinen Freund Bassanio weiter, der sich damit die Gunst der von ihm angebeteten Portia erkaufen will. Daneben noch zwei weitere Love-Stories, die am Ende ebenso „happy“ enden wie jene zwischen der wohlhabenden Waisen Portia und Bassanio. Das Finale nach drei Stunden Oper: drei Paare, die die Liebe preisen. Und einen ruinierten Shylock zurück lassen. Klaus Hemmerle verlegt, nachdem der erste Akt im Venedig des 18.Jahrhunderts verortet zu sein scheint, das Brautwerben des Prinzen von Marokko und dem von Aragon in die 1930-er Jahre, für Shakespeares dramatische Gerichtsszene („Der Gerichtshof in Venedig“) baut ihm Bühnenbildner Andreas Wilkens eine Art Börsenparkett mit riesigen Bildschirmen, auf denen unablässig Zahlen und Diagramme abwechselnd in rot und grün aufleuchten, bevölkert von Typen von heute in grauen Anzügen. Dies alles sind durchaus sinnfällige Bilder, jedes für sich genommen wirkt auch weitgehend schlüssig. Sie formen sich indes nicht wirklich zu einem großen Runden.
Reynaldo Hahns Musik? Eine durchaus disparate Angelegenheit! Zunächst ist der Massenet-Schüler (und Ravel-Kommilitone) ganz Kind seiner Zeit: Puccini klingt mit, dann schwelgen, charmant wie bei Brahms, die Violinen in Terzen- und Sextenseligkeit, fußend auf Pizzicati der tiefen Streicher. Die emotionalen Vibrationen der Liebesnacht aus Wagners „Tristan“ schwingen nach, ein satter Blechbläser-Choral klingt wie englische Spätromantik, kontrapunktisch Gewobenes mutet an wie Max Reger, wenn dieser sich von Johann Sebastian Bach hat inspirieren lassen. Und Mozart spielt immer irgendwo mit. Dies alles aber erscheint nicht unbedingt als „Flickenteppich“, sondern ist schon intelligent verknüpft. Manko dieses „Kaufmanns“ allerdings: ein mitunter ausuferndes, unnötige Längen aufweisendes Libretto wie beispielsweise in der „Kästchenprobe“ des 2. Aktes, durch die sich die Brautwerber der Portia präsentieren. Immerhin liefert Hemmerle hier niedliche, ja lustige Tanznummern: verschleierte marokkanische und feurige andalusische Damen (die aber Herren sind!) und in schwarzen Anzüge gekleidete Herren (die aber Damen sind!).
Gesungen wird in Bielefeld ganz ausgezeichnet. Sarah Kuffner ist die umworbene Portia, höhensicher und ausdrucksstark, Frank Dolphin Wong der verliebte Bassanio; Nienke Otten und Lianghua Gong (ein strahlend schöner Tenor) finden als Jessica und Lorenzo zueinander; bleiben Nérissa (Nohad Becker) und Gratiano (Mark Adler) als drittes glückliches Pärchen. Moon Son Park stattet die Rolle des trübsinnigen Kaufmanns Antonio facettenreich aus, Bjørn Waag schlüpft stimmstark und in seinen Wutausbrüchen absolut überzeugend in die Rolle des Shylock. Auch die kleineren Partien sind bestens besetzt, Hagen Enkes Chöre stimmlich gut disponiert. Am Pult der Bielefelder Philharmoniker steht deren 1. Kapellmeister Pawel Poplawski, der Hahns Partitur, in der doch einige rhythmische Klippen zu umschiffen sind, sehr transparent entfaltet und nie (was im Theater Bielefeld mit seiner knalligen Akustik schnell einmal passieren kann) zu laut ist!
Weitere Termine: 7./21. Mai; 1./15. Juni; 7. Juli