Foto: Szene mit Bastian Heidenreich (Hupka) aus der neuen Laucke-Uraufführung am Nationaltheater Weimar. © Luca Abbiento
Text:Michael Chlebusch, am 23. November 2015
Ewig. Ewig. Ewig. Hupka ist ein unverbesserlicher Träumer dessen Beschreibungen vorbeiziehender Landschaften nur vom unerschütterlichen Glauben an die Rückkehr zu seiner beinahe Exfrau und den Zwillingen übertroffen werden. Hupka (Bastian Heidenreich) ist Wanderarbeiter. Vagabund unserer Zeit, der zu Beginn des Weimarer Auftragsstückes „Luft nach Oben“ von Dirk Laucke zusammen mit Kumpan Pistoletti auf der Suche nach einem Brotjob oder wahlweise dem großen Glück durch das uneinige Europa zieht. Mit „Luft nach oben“ verarbeitet Laucke Figuren und Motive aus dem im Jahr 1937 geschriebenen Stück „Astoria“ von Jura Soyfer und verpflanzt die hoffnungslosen Heimatsuchenden von damals als heimatlose Hoffnungsuchende ins Heute.
Laucke widmet sich mit seinem Stück dankbarerweise einem großen Bevölkerungsteil, der ohne Lobby oder eigene Stimme durch die Lande zieht und dabei weitgehend unsichtbar bleibt: auf Baustellen, so wie Hupka meist schwarz, und in Arbeiterheimen, so wie Pistoletti meist überteuert und zu acht in einem Zimmer. Da sitzt Hupka nun in einer Raststätte und träumt davon, ein europäischer Fernfahrer zu sein – für ihn der große Wurf. Und landet am Ende bei Gwendolin Maresch, die ihrem insolventen Kleinunternehmerehemann eine billige, weil am Ende doch unbezahlte Arbeitskraft verschaffen will. Mit Hupka kann man es noch machen. Der deutsche Arbeiter Joachim droht derweil mit dem Anwalt, um seine Lohnforderungen einzutreiben. Die vom Amt bezahlte „Maßnahme“ Frau Hlady scheint ohnehin nur mäßig motivierte Bürokraft zu sein. Doch weil man mit nur einem richtigen Arbeiter und ein paar Akkustikplatten nicht aus der Insolvenz kommt, ersinnen Unternehmer Luis Maresch (wunderbar zwischen schmierig und trocken Bernd Lange) und sein Hupka bald ein neues Geschäft: Automobil Im- und Export. So ein schöner Betrieb mit großem Schotterplatz und einem weißen Bürocontainer darauf. Letzterer ist zentraler Spielort des gesamten Stückes und steht als treffend ausgewählte, monolitisch unästetische Mahnung an den prekären Wirtschaftssektor im Raum. Obendrauf prangt bald das Schild des neuen PKW-Handels „Astoria“. Der verdient sein Geld nicht über gute Ware, sondern getreu aktueller Methoden über Mehrwertsteuerbetrug bei der Ein- und Ausfuhr der Wagen.
So nah Autor Laucke und Regisseur Enrico Stolzenburg dabei der Realität auch kommen mögen, man hätte sich im Konstrukt ein wenig mehr Fallhöhe gewünscht. Vor allem wenn man Soyfers absurdes Astoria vor Augen hat, in dem der Glaube an einen ganzen ausgedachten Staat den Menschen den Kopf verdreht. Da wirkt Mareschs Autohandel im Vergleich doch fast wie eine solide Idee. „Mit dem Glück darf man nicht gierig sein“, sagt Hupka. Seinen Witz und seine Brisanz erhält das Weimarer Stück vor allem durch die treffend geschriebenen und gespielten Charaktere, die stellenweise zwar haarscharf am Klischee vorbeischrammen, aber immer glaubwürdige Opfer ihrer Umstände bleiben. Es endet wie es enden musste. Als Pistoletti den psychisch etwas instabilen Paul mit von der Montage bringt und beide bei Astoria keine Arbeitsstelle finden, schlägt Paul die Wagen wütend kurz und klein. Doch das Geschäft muss weiter gehen: Gwendolin zwingt ihren Ehemann dazu, das nächste Ding abzuziehen. Und Hupka und seine Kollegen stehen wieder auf der Straße. Im Ergebnis steht ein ebenso kurzweiliger wie eindringlicher Theaterabend getragen von einer starken Besetzung und einem temporeichem Buch. Bei der Akzentuierung mancher Motive gab es hier und da zwar Luft nach oben, doch eröffnen die Macher mit dem so betitelten Stück einen sehenswerten Blick auf eine oft übersehene Thematik.