Foto: Volker Löschs Opern - "Räuber" in Weimar, im Vordergrund Heike Porstein (Amalia) © Matthias Horn
Text:Joachim Lange, am 2. Februar 2015
Volker Lösch ist längst zu einem Markennamen in Sachen Schauspiel-Regie geworden. Bei ihm geht es nicht allzu subtil zu, wenn Kunst und Wirklichkeit auf der Bühne aufeinander treffen. Da holt sich schnell einer von beiden eine blutige Nase. Mal ist es die Kunst, noch häufiger aber die Wirklichkeit, die dabei etwas einzustecken hat. Seine im Schauspiel entwickelte Methode, betroffene Laien ganz unverblümt zu Worte kommen zu assen, hat Löschauch bei seinem ersten Ausflug in die Oper beibehalten. Das war im November 2013 in Magdeburg, wo aus den Hexen ein Chor der Magdeburgerinnen wurde, die u.a. der Landesregierung den Marsch bliesen.
Jetzt hat er sich in Weimar das zweite Mal an Verdi versucht: passend zum Aufführungsort an einer der Schiller-Opern. „I Masnadieri“ nach den „Räubern“ ist eine von Verdis frühen, heute eher selten gespielten Opern. Martin Hoff, der erste Kapellmeister der Staatskapelle Weimar und die fabelhafte Sängercrew setzen voll auf den musikalischen Schwung dieser schnell geschnittenen Folge von zum Teil kurzen Szenen. Lösch versucht gar nicht erst, diese gleichsam „löcherige“ Dramaturgie szenisch in einen klassischen Handlungsverlauf umzubiegen, vielmehr übersetzt er sie in einen rsasant geschnitten Bilderbogen – wie in einem Comic. Und die entsprechenden Sprechblasen geben ihm das Mittel an die Hand, Verdi mit aktuellem Sinn aufzuladen, ohne in die Werkstruktur selbst eingreifen zu müssen. Die Bühnenbildnerin Carola Reuther lässt sie in allen möglichen Variationen über die Köpfe der Sänger aus dem Schnürboden schweben. Und die Inszenierung lebt vor allem von den Texten, die Lösch und sein Team aus einer ganzen Serie von Interviews mit Rechtsradikalen, NPD- und AFD-Funktionären, aber auch mit Aussteigern, Linken oder Politikern sogenannter etablierter Parteien destilliert haben. Sie werden zu einer gleichsam assoziativen Textspur verdichtet und den handelnden Personen zugeordnet. Für die ungefilterten Ressentiments zwischen PEGIDA, Rassismus und NSU ist die Räuberbande zuständig, den rechten ideologischen Überbau liefert Franz Moor, und die politischen Erklärungsversuche der etablierten Politik sind dem alten Moor zugeordnet.
Dazu kommen einige in Thüringen aufgenommene Fotos von Landschaft und rechten Aufmärschen und Schmierereien und das einschlägige Outfit der Räuberbande und ihres tätowierten Anführers sowie der nicht minder einschlägige linke Aufzug Amalias und schließlich das bürgerliche Politiker-Erscheinungsbild des alten Moor und seines Sohnes Franz. An diesen sozialen Kontrasten entzünden sich die vokale Durchschlagskraft von Jaesig Lee als Karl Moor, die sonore Würde Daeyong Kims als altem Moor und die schmierige Eloquenz, mit der Alik Abdukayumov die Kanaille Franz gibt und mit der sich Heike Porstein ihren linken Positionen verschrieben hat. Ihr nützen die aber genauso wenig wie der gemeinsame kurze Traum mit Karl vom normalen Spießerleben. Der Widerspruch zwischen den Schüssen Karls auf Amalia und dem ihm zugeschriebenen Aussteigertext in der Sprechblase über seinen Kopf wirkt dabei genauso nach wie die assoziative Konfrontation zwischen der musikalischen Emotion und der mitunter dumpfen Brutalität unterkomplexer Scheinantworten auf die Fragen der Zeit.
Am Ende der Premiere reagierte das Publikum begeistert. Lösch und sein Team haben Verdi und Schiller zum gedanklichen Durchstarten genutzt. Sie sind damit im Deutschen Nationaltheater Weimar den offenen Problemen unserer Gegenwart so nahe gekommen, wie es viele der Oper schon gar nicht mehr zugetraut hätten. Der Opernfreund lernt eine neue Art von Ästhetik kennen und kommt musikalisch voll auf seine Kosten. Der Schillerfan findet sich in dem Verdacht bestätigt, dass der Klassiker immer noch das Potential zum Zeitgenossen hat. Vor allem die jüngeren Zuschauer werden nach diesem Opernabend verblüfft sein, wie brandaktuell Oper sein kann.