„Der Moliére von Völksen“ im Hermannshof Völksen

Die Putzlappen-Therapie

Die Compagnie: Der Molière von Völksen

Theater:Hermannshof Völksen, Premiere:06.08.2021Regie:Ruth Messing

Die Legenden der Antike berichten vom Theatermacher Thespis, der nicht nur zu den ersten gehört haben soll, die den ritualisierten Chören auf der Bühne den Schauspieler als Träger von Gedanke und Handlung gegenüberstellten, sondern der auch mit einem „Karren“ herumgezogen sein soll: als Erfinder des Wandertheaters. In Garten und Park vom historischen „Hermannshof“, einem Gelände, das der Architekt und Bildhauer Bernhard Hoetger vor hundert-und-einem Jahr für den hannoverschen Industriellen Max Rexhausen als Sommersitz gestaltete, in Völksen am Deister, eine halbe Fahrstunde südwestlich von Hannover, zuckelt jetzt ein auch schon ziemlich antiker Trecker über Wege und Wiesen – und auf dem Anhänger ist ein komplettes, vielseitig bespielbares Bühnenbild montiert. Gespielt wird „Der Molière von Völksen“; und wer Lust hat auf ganz und gar unelegantes, wie frei improviertes, schräges und ein bisschen schrilles Sommertheater, findet das in Völksen. Denn der Ulk, der hier mit dem komischen Franzosen getrieben wird, hat’s in sich.

„Die Compagnie“ hat sich auf dem Hermannshof versammelt; einige vom Schauspielensemble, Rainer Frank etwa und Jonas Steglich, gehörten zu Lars Walburgs hannoverschem Ensemble, die Musiker Martin Engelbach und Lars Erhardt sind noch immer Teil von Florian Fiedlers munterer Truppe in Oberhausen. Mit Dramaturgin Elisabeth Hoppe und Regisseurin Ruth Messing haben die Theaterleute einen Molière-Mix konstruiert – Motive aus Stücken wie „Der Menschenfeind“, „Der Geizige“ oder „Der eingebildete Kranke“ sind grobmaschig miteinander verstrickt; und so werden alle Beteiligten zu Mitgliedern der großräumig miteinander verbandelten Molière-Familie. Manche Spielideen entwickeln sich zu ziemlich manisch-verrückten Absurditäten, die ohnehin in Molières Stücken versteckten psychoanalytischen Verkorkstheiten werden zielstrebig auf die leicht perverse Spitze getrieben.

Wo etwa im Original nur einer der chronisch dummen, selbstgerechten Titelhelden in einem Sack verpackt und dann virtuell verdroschen wird von der Dienerschaft, werden hier alle mit dem Knüppel versorgt; „lustig-lustig, haue-haue“ sei das, beschwert sich da einer – und steigt aus. Bürgerliches Lachtheater? Was soll das noch? Molière steht hier auch auf dem Prüfstand – wo führt er uns heute noch hin, an welche Abgründe, in welchen Irrsinn und Wahn?

„Der eingebildete Kranke“ jedenfalls bekommt die richtige Therapie verpasst: vom Diener. Einen Putzfeudel drückt der dem Jammerlappen in die Hand, an dem kann sich der nun austoben. Arbeit ist die beste Medizin.

Obendrein gibt’s immer wieder Momente, an denen das hübsch wackelige Molière-Konstrukt mutwillig aufgebrochen wird; vor allem und immer wieder musikalisch. Klassiker aus der Rock- und Popgeschichte haben Engelbach und Erhardt reichlich im Angebot, und ergänzt werden sie von Jonas Steglich, der nicht nur Bass spielt, sondern auch singt; gegen Ende sogar ein wirklich schönes Lied aus dem Songschatz von Gerhard Gundermann. Aber auch Wassilissa List und Andrea Casabianchi, Andreas Sigrist und Rainer Frank singen irgendwann. Zum Finale vor dem Portal des Herrenhauses auf dem Hermannshof taucht plötzlich auch noch das Orchester vom Musikverein Völksen auf; und Eckhart Liss, der „spiritus rector“ auf dem Kulturgut, findet sogar das Geld wieder, das zuvor dem „Geizigen“ entwendet worden war – zwischen den Blumentöpfen vorm Fenster im Obergeschoss des Hauses.

Voller Effekte steckt dieses abgedrehte Spiel – und der Trecker wird zum zusätzlichen Hauptdarsteller. Erst rumpelt er mit der Bühne von Ken Chinea hinten drauf den Hügel hinunter zum Gartenhaus; hier beginnt das Durcheinander, und „Der Menschenfeind“ (um den es später nicht mehr geht) eröffnet die Bastelarbeit. Aus dem Gartenhaus-Gefängnis brummelt „Der eingebildete Kranke“ unablässig Angstphantasien hervor, und „Der Geizige“ (hier eine „Die“!) gräbt schon mit dem Spaten den Rasen um auf der Suche nach der verschwundenen Kohle. Der Trecker schlingert vom Gartenhaus weiter aufs freie Feld, wo das richtig schön bunte Bühnenbild auf dem Anhänger ganz aufgeklappt und von der anderen Seite bespielt wird; und zum Finale, wenn er neben dem Portal vom Herrenhaus geparkt ist, darf er nochmal richtig laut hupen.

All das ist ein großer Spaß – und am Premierentag hat die versammelte Spielenergie auch den kurzzeitig tröpfelnden Schauerregen sofort wieder vertrieben. Sechs Vorstellungen plant „Die Compagnie“ auf dem Hermannshof bis zum 14. August. Gern dürften es auch mehr sein – an diesem sehr besonderen Ort mit diesem sehr besonderen Ensemble und mit dem tuckernden Thespis-Karren.