Die Oper der chinesisch-stämmigen amerikanischen Komponistin Du Yun auf ein Libretto von Royce Vavrek wurde 2016 in New York uraufgeführt, bekam den Pulitzer-Preis und ist auf CD erschienen. Das Staatstheater Augsburg hat sich die Rechte der europäischen Erstaufführung gesichert und so kam es im Ausweichquartier des Theaters im Martini-Park zu einer dank Antje Schupp (Regie), Christopher Ruder (Bühne), Mona Hapke (Kostüme) und durchweg hervorragendem Ensemble packenden, unter die Haut gehenden Produktion. Und das wohl dank und nicht trotz eines wilden Stilmixes, mit dem Yun das Geschehen grell durch- und ausleuchtet.
Ob es fast traditionelle Madrigal-Engelschöre sind, gesungen von schlicht schwarz gewandeten Männern und Frauen, die buchstäblichen (drei) Posaunen des Jüngsten Gerichts samt Basstuba und zwei Trompeten, die oft die Schmerzensschreien der Engel gellen lassen, hastiges Sprechen über elektronischem Wabern, einsame Geigen- oder Klarinetten-Soli, ja sogar regelrechter Punk Rock: Die 45-jährige Komponistin kennt keine Scheu, sich vieler Idiome zu bedienen, um das Geschehen ins rechte musikalische Licht zu rücken, das die Augsburger Philharmoniker unter Ivan Demidov plastisch ausleuchten.
Geflügelte Bilder
Auch die Szene setzt klare Zeichen. Auf der Bühne kann man dank der charakteristischen Umrisse einen Flügelaltar oder einen Orgelprospekt erahnen und tatsächlich sieht man bald den gewaltigen Isenheimer Altar. Man kann ihn in beiden Versionen betrachten: geschlossen (Kreuzigung), oder geöffnet (dann ist Christi Menschwerdung, also die Krippe, zu sehen und rechts die Auferstehung).
Sobald die Engel geschändet wurden, bleiben auf der Drehbühne nur noch das Gerippe und Leuchtstoffröhren übrig (Bühne: Christopher Rufer). Doch da geht das wüste Geschehen erst richtig los: Die beiden Engel, auf deren Rücken die blutigen Wunden klaffen, wo man ihnen die Flügel herausgerissen hat, werden zum käuflichen Objekt der Begierde gemacht und hinter der eingeblendeten Telefonnummer, unter der man sie buchen kann, lächeln die beiden verschämt zwischen der dreist grinsenden Mrs. X.E. Das fasst alles, was wir heute über Missbrauch und moderne Sklaverei wissen, in ein ätzend klebriges Bild.
Musikalisch stark wird der Abend immer dann, wenn er besonders hart das Geschehen begleitet, oder der Erzengel (ein feiner Countertenor: Constantin Zimmermann), ein zwölfstimmiger „Vokalzirkel“ und/oder der Opernchor des Staatstheaters Augsburg die vielfältigen, überirdischen oder sehr real irdischen Kollektive darstellen. Vielleicht hätte es da der eigenen Version für großes Orchester, welche die Komponistin für Augsburg erstellt hat, gar nicht bedurft, denn so flogen einem die 80 pausenlosen Minuten manchmal regelrecht um die Ohren.