Foto: "Die Walküre" bei den Bayreuther Festspielen 2013. Setzten vokale Glanzpunkte: Anja Kampe als Sieglinde und Johan Botha als Siegmund in Frank Castorfs neuem Bayreuther "Ring". © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Text:Wolf-Dieter Peter, am 28. Juli 2013
Setzte Frank Castorfs „Ring“-Erzählung im „Rheingold“ irgendwo in den USA der 1970er ein und zeigte Zwerge, Riesen wie Götter als banale Typen einer Trash-Soap, so sind in der „Walküre“ Menschen- und Götter-Schicksale zu verweben. Die den 1.Aufzug einleitende Fluchtmusik des unangepassten Wotan-Sohnes Siegmund führte nun in das bühnengroße Holzhaus eines Woiwoden irgendwo in den südrussischen Öl-Feldern des späten 18.Jahrhunderts. Bühnenbildner Aleksandar Deniç hat es aufwändig mit hohem Turm, Außentreppen, Terrasse im 1.Stock samt Sonnensegel, allerlei Gerätschaften bis hin zu Strohballen im Erdgeschoß ausgestattet, wobei ein Schwert oben auf der Terrasse im Holzblock steckt, ein zweites unten in einer Innenhalle. Die wird einsehbar, wenn per Drehbühne die Giebelfront nach vorne schwenkt und große Klapptüren geöffnet werden. Da werkeln dann auch ein paar Bedienstete herum.
Im 2.Aufzug ist die Holzverkleidung am Turm entfernt. Der stellt nun einen alten Bohrturm dar – wie die Hunderte in der Region um Baku in den Schwarz-Weiß-Film-Sequenzen aus russischen Stummfilmen, die mal auf das herabgelassene Sonnensegel, mal auf einen Zwischenvorhang im Innenraum projiziert werden. Im 3.Aufzug rollt zu Wotans Abrechnung mit Brünnhilde aus dem Innenraum eine Öl-Wiege-Pumpe in Originalgröße nach vorne und nach zehn Minuten sinnfrei wieder zurück, mit rotem Fähnchen und rotem Tuch drapiert, während oben am Turm ein roter Stern aus Glühbirnen leuchtet, Dach wie Wände mit Polit-Parolen in kyrillischer Schrift bedeckt sind und einmal eine „Prawda“ mit Lenin-Foto gezeigt wird.
Davor ist Hunding im Gehrock mit Zylinder aufgetreten: wohl Leitender Angestellter des im 19.Jahrhundert das russische Öl-Geschäft gestaltenden Barons Rothschild. Wotan im zeitlos schwarzen Umhang über hellem Shirt ist im 2.Aufzug noch ein Woiwode mit langem Rauschebart ohne Runen-Herrschaftsspeer, dem Fricka im Kostüm einer Tartaren-Fürstin gegenübertritt. Die Walküren in prunkvollen Roben des Zarismus haben zu ihrer wilden Musik getafelt, ordentlich Wodka getrunken und nebenbei Kämpfer der Revolution zur Strecke gebracht. Wotan hat sich an der Macht gehalten, nur den Bart abgeschnitten und rauchend mal eben Sohn Siegmund mit einer Metallstange niedergestreckt. Später löffelt er Kaviar, spült mit Wodka und weist Lieblingstochter Brünnhilde nach verstörend innigem Kuss in eines der Stockbetten der Öl-Arbeiter ein. Da ein bisschen Feuerzauber sein muss, lässt er draußen an einem obskur bleibendem Holzrundbau einen Dachring entflammen.
Grundlinien der Castorf-Inszenierung werden erkennbar: Dekonstruktion von Werkinhalten und -strukturen, diskontinuierliches Erzählen, Nutzen des „alles“ ermöglichenden postdramatischen Theaters. Leider nur interessieren Castorf eben auch große Emotion, tiefes Elend, Macht und ihr Missbrauch, schreiende Klage oder politische Attacke nicht – prompt wirken viele Szenen hingestellt leer.
Rettung kam aus der Musik und von einigen Sängerpersönlichkeiten. Abermals beeindruckten Kirill Petrenko und das Festspielorchester mit klar durchhörbarem Klang, mit Feinzeichnung von Nebenstimmen und dann auch dramatischer Wucht. Angesichts vieler spannungsloser Szenen hätten schnellere Tempi und häufigere musikdramatische Attacken der Aufführung gut getan. Johan Bothas Siegmund beeindruckte vokal, bleibt als Bühnenerscheinung aber ein Problem. Catherine Fosters Brünnhilde bringt für ihr Bayreuth-Debüt zwar schon eine unzeitgemäße Heroinen-Figur mit, hatte den halben 2.Aufzug mit den 39 Grad im Festspielhaus zu kämpfen, lieferte ihre „Hojotoho“-Rufe aber mit jungmädchenhafter Attacke ab und war dem guten, aber von Castorf zu wenig geformten Wotan von Wolfgang Koch ein kämpferisch ringendes Gegenüber. Neben dem herrlich Bass-finsteren Hunding von Franz-Josef Selig aber zeigte Claudia Mahnke, dass man mit dramatisch aufgeladenen Mezzo-Tönen aus der kurzen Fricka-Szene eine spannungsgeladene Auseinandersetzung machen kann.
Wie so oft in der Sängergeschichte Bayreuths könnte ein Sieglinden-Debüt der Durchbruch zu „viel mehr“ sein: Anja Kampe kümmerte sich als Sieglinde nicht nur um den lebendigen Truthahn, der prompt viel szenisches Interesse auf sich zog, sie singschauspielerte mit schöner Bühnenfigur eine junge Frau, die einmal erotisch erglühen darf und dabei vokal erblüht. In ihrem Mutterglück-Abschied „Du hehrstes Wunder“ sang sie sich förmlich die Seele aus dem Leib – und wurde mit Sturmszenen der Begeisterung gefeiert: der singende Mensch kann an Schichten rühren, die das „postdramatische Theater“ als fades Produkt intellektueller Überzüchtung erscheinen lassen.