Foto: Julie Adams (Rusalka) und Ekaterina Kudryavtseva © Thomas M. Jauk
Text:Andreas Berger, am 6. März 2021
Auch die im Müll versinkende Zivilisation hat ihre romantischen Momente: Wenn der alte Wassertank in der Reflektion wie der Mond erglüht und die Nixe Rusalka am verödeten Wasserloch zwischen Waschmaschine und Plastikflaschen ihr „Du lieber Mond, so silberzart“ anstimmt, wird der Traum von der Harmonie zwischen Mensch und Natur zu einem wohlig durchwärmenden Gefühl der Hoffnung. Dvorák hat das Lied auch gar zu schmelzig schön komponiert, und Julie Adams singt es in der gestreamten Produktion des Staatstheaters Braunschweig mit feiner Intonation und zarter Verhaltenheit, bevor die Stimme groß erblüht.
Die Sopranistin war im vergangenen Jahr eigentlich für die Met gebucht; weil dort alles ausfiel, sagte sie in Braunschweig zu und musste kurz vor der Premiere hier den zweiten Lockdown erleben. Das Haus entschloss sich zu einer Streaming-Aufführung, die den bemerkenswerten Inszenierungsansatz von Dirk Schmeding nun weltweit zugänglich macht. Konsequent arbeitet er den sozusagen ökologischen Gehalt der Romantik heraus, belässt den Stoff aber trotzdem in einer märchenhaften Welt mit mystischen Zwischenwesen, die an den Rändern der Industriegesellschaft in den Brachen und Kloaken lauern.
Neben Rusalka, die sich mit Wasser aus der Plastikflasche erfrischen muss, haust der Wassermann mit seinem Lurchschwanz wie ein alter Alligator im Abflussrohr. Die Waldelfen wühlen wie manche Kulturfolger unter den Tieren im Müll herum, und die Hexe fristet als Lumpensammlerin mit Transistorradio ihr mysteriöses Dasein. Das erinnert etwas an Tankred Dorsts Ansatz für seine Bayreuther „Ring“-Inszenierung, die mit ihren Zwergen und Göttern hinter Wänden und auf Rheinpromenaden das Numinose in einer gottlosen, entfremdeten Welt sichtbar machte.
Längst haben Delial und Shell ihre riesigen Werbetafeln in jenen Rest Landschaft gesteckt, den die Gewerbeparks übriggelassen haben. Ralf Käselaus Bühne entwickelt da eine Bildkraft wie „Plaste und Elaste aus Schkoppau“ in Castorfs Bayreuther „Ring“.
Aber die Natur und ihre mystischen Randgestalten haben noch nicht verloren, Dvorák bestärkt sie mit seiner romantischen Musik in ihrer urälteren Wirkmacht und Aura. Wurde nicht im Vorfilm zur Ouvertüre eine Art Schmutzpartikel zersetzt, hat sich nicht neues mikroskopisch feines Leben gebildet? O, wir kennen die Macht der Viren. Und sitzen wir nicht genauso im Dreck wie Rusalka und ihre Mitgeschöpfe, lassen uns ständig weitere Bodenversiegelung für Gewerbeparks unterjubeln und streicheln dann beglückt unsere selbstgesäten Bienenweiden, weil wir wie die kleine Seejungfrau im Angesicht des Mondes den Traum der Versöhnung hegen? Rusalka zeigt Zutrauen zu den Menschen, opfert in einem gewaltigen Evolutionsschritt ihren Fischschwanz für menschliche Gestalt – und gerät dabei in Braunschweig gleich erstmal unters Auto.
Ihm entsteigt ihr „Prinz“, ein Surfer, der auf seine Art auch die Natur, freie Luft und Wellen liebt, aber dem merkwürdigen Naturwesen nur mit langer Hand eine Wasserflasche zuwirft. Rusalka, Unfallopfer und Lurch, muss erst lernen, auf ihren wackeligen Beinen zu stehen. Auf der Kühlerhaube nähern sich die Finger. Es wird ein kurzes Glück mit Plastikfolie als Brautschleppe, dann zieht er mit einer Strandschönheit aus der Delial-Reklame ab.
Zur Polonaise, die ihre Festmusik hätte sein können, erstarkt Rusalka in Eifersucht und Wut. Während auch die punkigen Waldelfen anarchische Randale machen, lässt sie im Wagen Kurzschlüsse aufblitzen. Ihr Vertrauen in die Treue der Menschen, in süßes romantisches Gefasel von der Liebe zur Natur, ist zerstört, und so wird sie zur Zerstörerin. Im Shell-Schild erblasst das „S“, künftig herrscht hier „hell“.
Der Surfer ist mit dem manipulierten Auto im Sumpf stecken geblieben, vielleicht deutet das haushohe Schilf im Hintergrund sogar darauf hin, dass die Wasser zurückkehren und die ganze falsche Zivilisation fluten. Jedenfalls schliddert der reuige Kerl nun Rusalka hinterher, deren Hochzeitsplastikschleier vom Schnürboden herabsegelt, als versinke er im Wasser. Immer wieder findet Schmeding so romantische Bilder. Doch Rusalka ist nun kühle Rächerin der Natur, sie erstickt den Untreuen in der Plastikfolie, der Mensch hat seine Chance verspielt.
Und dabei singt Kwonsoo Jeon diesen Prinzen so schmelzig schön: Sein Tenor hat lyrische Weichheit und die gehörige Strahlkraft. Jisang Ryu setzt mit klarem Bass die Weherufe des Wassermanns dazu. Ekaterina Kudryavtseva gibt in lyrisch schönen Bögen die kokette Fremde, und Edna Prochnik charakterisiert mit reifem Mezzo die Hexe. Milda Tubelytė und Maximilian Krummen machen aus ihren ängstlich-abergläubischen Waldhütern kleine Charakterstudien. Am Pult des coronagemäß verkleinerten Staatsorchesters sorgt Srba Dinić für üppige romantische Wellen und viel Feinheit und Intimität in den Naturstimmungen. Das stützt die mystische Aura in Schmedings klug das Märchenhafte im Faktisch-Realen entdeckender Regie. Ein spannender Opernabend.
„Rusalka“ ist bis zum 4. April im kostenlosen Stream auf der Homepage des Theaters, danach auf www.operavision.eu zu sehen.