Foto: Szene aus der Uraufführung "Und wenn sie gingen" in Konstanz © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 13. Mai 2016
Als alle das Dorf verließen, um sich in der Stadt eine neue Zukunft zu bauen, blieben nur Elis und Klara zurück. Elis ist in ihrer Bewegung eingeschränkt und die kleine Klara wurde von ihrem Vater zurückgelassen. Beide haben sich hoch droben auf dem Berg in einer engen Symbiose unter großen Entbehrungen eingerichtet. Beide Frauen vertreiben sich die Zeit mit Geschichten, in denen sie sich eine Identität zu geben versuchen. Dabei haben sich beide feste Rituale geschaffen, die nun langsam zerbrechen, weil auch Klara von einem anderen Leben zu träumen beginnt. Als dann der Tourist Anton, der sich eine Auszeit nehmen und an diesem Ort die Hütte seines Großvaters wieder renovieren will, auftaucht, beginnt Klara einen eigenen Weg zu gehen. Am Ende geht sie mit Anton in die Stadt.
So könnte man die Geschichte erzählen, wie sie Rebecca C. Schnyder in ihrem Auftragswerk des Theaters Konstanz „Und wenn sie gingen“ aufschreibt: ein Psychogramm zweier Frauen, in der sich Klara aus der Umklammerung von Elis befreien möchte und Elis dem Mädchen ihre eingeschränkte Mobilität vorspielt, um sie halten zu können. Aber eine Stärke und Schwäche des Stücks zugleich ist, dass die Autorin die Vorgänge erzählt, aber die Motivationen weitgehend ausspart und so jede Regie eine eigene Lesart sich erarbeiten muss. Claudia Brier hat sich in ihrer Konstanzer Uraufführungsinszenierung dafür entschieden, zunächst einmal das Mythologische des Stoffes zu erkunden. Zu dieser Entscheidung hat sicherlich der besondere Aufführungsort beigetragen, die Panoramahalle in der Bergstation der Säntisbahn mit Blick auf die grandiose Bergwelt, der allerdings bei der Premiere durch dichtes Schneetreiben verhindert wurde. Dennoch spiegelt die Breitwandbühne von Steven Koop etwas von dieser Monumentalität wieder. Im Zentrum steht dabei ein großer Fels, dessen Oberfläche mit drachenartigen Strukturen versehen ist, und in dem Friederike Pöschel drin steckt, deren Kostüm (Annie Lenk) diese Strukturen übernimmt.
Dieses Bild gibt der Figur etwas Unnahbares-Mystisches. Es ist auch Sinnbild der emotionalen Versteinerung, zu der auch die Sprechweise von Friederike Pöschel beiträgt, ganz ruhig, schon immer gesagte Sätze in einer immer gleichen Welt. Aus dem überdimensionierten Berg-Rock kugelt sich gleich zu Beginn die Klara der Lotti Happle mit schwarzen Plastiksäcken heraus, aus der Geborgenheit in die Welt. Eine Geburt also? Oder nur Geborgenheit, die Klara im ganzen Stück nicht wieder findet? Lotti Happle spielt sie als ein immer aufmüpfiger werdendes Mädchen, das sich das Recht auf Selbstbestimmung erkämpft. Das Pochen auf das Bild einer anderen Welt zwingt Elis, ihren versteinerten „Rock“ zu verlassen. Auch sie entwickelt nun eine starke Emotionalität bis hin zum Tanz, um Klara bei sich zu behalten können. Aber da wirkte schon der Anton des André Rohde in diese enge Beziehung hinein, der aus der Welt des Stadt kam, ein kräftiger Bursche, ein wenig selbstverliebt, die Welt, wie sie ist, nicht wirklich wahrnehmend.
Eine besondere Rolle spielt die Musik. Hier entschied sich die Regie, alte traditionelle Gesänge aus dem Appenzell, wo der Säntis steht und die Autorin herkommt, zu nehmen, kombiniert mit einem Volksmusiker, Noldi Alder, der Traditionelles und Neues in seinen Kompositionen zusammenbringt. Der Zäuerli-Chor „Bismärkli-Schuppel“ aus Urnäsch mit seinen wunderbaren Gesängen bringt die ganze Mystik der Berge zum Ausdruck. Aber wie Mystik sich mit den Psychogramen der Figuren verbindet, bleibt leider unterbeleuchtet.