Foto: Szene aus Ivo van Hove Inszenierung von „Edward II.“ von Christopher Marlowe. © picturesberlin
Text:Jens Fischer, am 19. Dezember 2011
Männer unter sich. „Alarm!“, so wirbt der Aufdruck des kostenlosen Streichholzschachtel-Merchandising für die Inszenierung des leidenschaftstrunken verschnörkelten, Moral und Staatsräson ignorierenden Politthrillers von Christopher Marlowe. Er will Abbild zivilisatorischen Zerfalls sein: Menschen kehren und leben ihre negativen Seiten heraus – nehmen sich die Freiheiten, das zu tun, was ihnen eine animalisierte Psyche, all die Triebe, Omnipotenz-Fantasien und Hormone so suggerieren. Im Mittelpunkt räkelt Edward II. Frisch gekrönt missachtet er kindisch-bockig die Spielregeln seines Königsjobs. Kein Interesse an Staatsgeschäften, nur Lust auf seinen Günstling Gaveston. Monarchie ohne Monarch: Der machtgeile Hofstaat erobert dieses Vakuum schnell. Rücksichtslos kreuz und quer werden Rivalen beim Kampf um die Krone beiseite geräumt. Leben im Exzess: blutwurstig rustikal. Ein Pulp-Fiction-Spaß? Nein: Alarm! So duscht Gaveston an der Schaubühne erst einmal. Und zwar kalt. Seine Trieblust, im Mittelpunkt des königlichen Liebeslebens zu stehen, ist sogleich vereist. Auch die anderen Darsteller des reinen Männerensembles spielen wie bitterkalt geduscht und sprechen neutralisierend über Mikroports: Seltsam unbeteiligt intrigieren, foltern, morden sie. Mechanisch wirkt das Geküsse, genervt das Gefummel an fremden Leibern. Tuntigkeit, nirgends.
Sachlich kühl, auf die äußere Handlung entschlackt wurde auch der Text und mit sezierender Dramaturgie zu Überschriften wie „Politik“, „Liebe“, „Widerstand“, „Komplott“, „Kalkül“, „Wendepunkt“, „Verrat“ arrangiert. Regisseur Ivo van Hove flüchtet vor der Wucht des Materials in eine symbolische, jegliche geschichtliche Relevanz und Originalität vermeidenden Szenerie. Das Leben: ein Gefängnis (Bühne: Jan Versweyveld)! Lässig brutale Mannsbilder improvisieren im Trakt für Lebenslängliche das Werk Marlowes, suchen aus der Langeweile des Weggesperrtseins heraus etwas von sich in den Rollen. Jede Regung wird per Überwachungskamera auf die riesige Videowand des über allen thronenden Aufsehers projiziert. Nichts ist privat, alles öffentlich. Und nicht nur Edward liebt gleichgeschlechtlich. Männer allein unter Männern – spielen Schwulentheater. Nackte Körper für jeden Geschmack – mal dürr, mal kräftig, mal dicklich – sind vor, in, auf nackten Eisenkäfigen zu erleben. Ohne poetischen Überschuss nacherzählt wird so das Erwachen der Lust des Bösen am Bösen, des Weggedrängten, Ausgegrenzten der menschlichen Natur. Das rektale Einführen eines Eisenstabs ist genauso naturalistisch inszeniert wie das Ersticken von Gegenspielern mit Plastiktüten: alles natürlich live und in Farbe, in Nahaufnahme riesengroß zu erleben. Und musikalisch überhöht. Warum dafür als Metapher die Homosexualität herhalten muss?
Der Aufseher, sozusagen unser Über-Ich, tanzt gern mal kurz mit, wenn es im Zellentrakt so richtig mörderisch abgeht. Und er übernimmt auch die Rolle des Leicester, spendet zärtlich Trost und Waschung dem geschundenen, panisch eingekoteten Edward. Dann bringt er ihn in sanfter Umarmung um. So behält er alles bleibt unter Kontrolle. Hauptsache kein Alarm. Dann ist Feierabend für den Wachmann. Als Videofilmchen sehen wir, wie er in die nächste U-Bahn steigt, daheim nicht mehr als Mann unter Männern herumwütet, sondern mit der Gattin Spaghetti Bolognese kocht, schließlich neben ihr einschläft. Hove suggeriert ermüdend schlicht, „Edward II.“ ist keine Negativ-Fantasie, kein Alptraum aus ferner Zeit, sondern brodelnde Aktualität – und das kleinbürgerlich-private Spaghetti-Bolognese-Glück der Ausnahmezustand. Wer hätte das gedacht? Angst vorm Weggesperrten? Alarm? Nur lähmende Langeweile!