Foto: „Sonne, los jetzt!“ in der Zürcher Uraufführung © Philip Frowein
Text:Michael Laages, am 16. Dezember 2022
Als die Inszenierung kurz vor Schluss noch einmal auf die Suche geht nach starken vorletzten Worten und Tönen, die gut zum Echoraum passen könnten, den zuvor zwei Stunden lang und in vertraut assoziativer Manier die jüngste Gardinenpredigt von Elfriede Jelinek vermessen hat, stößt das Team um Nicolas Stemann auf erstaunliche Dinge. Alle im Ensemble hängen sich zum Beispiel Strom-Gitarren um und lärmen unter Federführung der Musiker Thomas Küstner und Sebastian Vogel (Stemanns treuesten Wegbegleitern) und mit Karin Pfammatters schön gröhligem Gesang auf der „Highway to Hell“ herum, der Autobahn zur Hölle, wie sie einst die Schwermetall-Rocker von AC/DC asphaltierten; um dann umstandslos das schöne alte „Abendlied“ von Hanns Dieter Hüsch anzustimmen, das der 1978 für den „Sysiphus Circus“ und die damalige Schweizer Theater-Partnerin Silvia Jost schrieb – und in dem sich die poetische Zeile findet: „Es sitzt schon der Abend auf unserem Haus“.
Der Mensch am Ende
Zwei Visionen sind das vom Ende, sie sind gut kombiniert mit Jelineks Weltuntergangsspiel, in dem sich die bislang leben-, wärme- und wachstumspendende, aber eben auch Tod und Feuer bringende Sonne verabschiedet von dieser heruntergekommenen Menschen-Erde – und noch eine Menge mehr an Endzeit ist versammelt im Finale. Hüschs „Abendlied“ zitiert auch die lange Liste schon ausgestorbener sowie jetzt und in Kürze aussterbender Tiere, wie sie Thomas Köck in einem der jüngsten Texte verwendet. Die Tiere übrigens könnten ab etwa 2070 zurückkehren auf die Erde – denn der mörderische Mensch ist ja 2058 endlich ausgestorben; und der kommt vorerst nicht wieder. Ob das Ausblicke von Jelinek oder Stemann sind – wer weiß. Jedenfalls meldet sich wie zu Beginn schon so auch am Ende nochmal Thomas Stearns Eliot mit dem Gedicht von den „Hollow Men“ – und dem letzten Wort über die Erde, die nicht mit einem Knall, sondern im Wimmern untergeht: „not with a bang, with a whimper“.
Eliots Gedicht entstand 1925; 97 Jahre später holt die Weltgeschichte ihn demnächst vielleicht ein. Derweil kriecht an letzten Feuerstellen auf der düstren Pfauen-Bühne vom Züricher Schauspielhaus eine etwas eklige Monster-Milbe herum: die letzte Überlebende. Nicolas Stemann sucht und findet enorm viele und immer sehr spezielle Bilder für diesen Jelinek-Text, der (laut Programmheft angeregt von der Choreografin Doris Uhlich) immer wieder und in 24 Kapiteln zum Monolog der Sonne wird. Die reflektiert die eigene Rolle im Werden und (absehbaren) Vergehen der Menschen-Welt auf dem eher unbedeutenden kleinen Planeten, wo die herrschende Spezies sich mit zunehmender Dauer immer weniger scherte um die Mit-Wesen, deren Evolution sie doch entwachsen war, und um die Um-Welt, von deren Überleben letztlich auch die humanoide Spezies selber abhing. Was ihr aber zunehmend wurscht war.
Klimatheater
Gefühlt jeder zweite jüngere Theatertext taucht derzeit ja ein in diesen Themenkreis: Umwelt, Klima, lebensbedrohliche Krisen. Wesentlich Neues ist auch in Elfriede Jelineks Wörterwerkstatt nicht entstanden; das war auch kaum zu erwarten. Alle Phantasie und Energie für’s Spiel entwickelt sich aus der Perspektive – wenn Jelinek eben als Sonne, als letzte Göttin sozusagen, auf das Gewimmel da unten herunter schaut; auf versteppende Wälder und Felder genauso wie auf die Strände weltweit, wo die Menschlein ja immer noch denken, dass sie sich „sonnen“, während sie aber eigentlich schon wissen müssten, dass sie längst schmoren und bald sogar kokeln könnten… Sonnenbrand als Dauerzustand. Und auf Vernunft und Rettung ist ja nicht mehr zu hoffen; da kann Frau Thunberg auch an diesem Abend noch so oft und laut „How dare you!“ rufen, „Wie könnt Ihr es wagen“, der Jugend die Zukunft zu versauen… Das ist mittlerweile derart abgenutzt (auch im Theater), dass die liebe Frau Sonne lieber einfach nach Hause geht.
Elfriede Jelinek räsoniert ohne Rücksicht auf Verlust; die hier verhandelten Fantasien über die letzten Tage und Jahre der Menschheit lassen sich auf Zukunft ebenso wenig ein wie die neuen Texte von Jelineks österreichischem Landsmann Thomas Köck. Die allerdings sind deutlich welthaltiger; Jelinek kommt im eigenen Echoraum immer auch auf das eigene Ich, das sehr private Bewusstsein zurück. So kann sie kurz vor der Machtübernahme der Monster-Milbe im allerletzten Bild auch noch das Schicksal des „armen Erpels“ im Garten beklagen, dem die verrottende Umwelt den Garaus machte.
Auch das Züricher Ensemble nimmt die assoziativen Denk- und Spielräume immer auch privat als Spiel-Impuls: Alicia Aumüller, Lena Schwarz und Patricia Ziolkowska neben Karin Pfammatter, die mit goldenem Strahlenkranz auf dem Kopf meist Frau Sonne ist; daneben Sebastian Rudolph und Daniel Lommatzsch. Alle sind höchst bewährt in den Stemann-Strategien entfesselter Fantasie, in der Jelineks Träume und Alpträume natürlich düster-funkelnde Bausteine sein mögen. Das „Happening“ aber, das, was auf Kathrin Nottrodts ebenso assoziativer Bühne tatsächlich geschieht, ist über die Jelinek-Uraufführung hinaus ganz und gar Stemann. Eine schöne Arbeitsbeziehung besteht zwischen beiden; das Programmheft dokumentiert sie in Briefen, die im Laufe dieser Produktion hin und her gingen. Es macht durchaus Spaß, dabei sein zu können – als geduldiges Publikum.