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Die Kraft der Sprachlosigkeit

Philipp Löhle: Feuerschlange

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:29.10.2016 (UA)Regie:Dominic Friedel

Ausgelassen tollen Schulkinder auf der Bühne herum. Hosen, Spitzenblusen und Pomade im Haar erinnern an den Ersten Weltkrieg. Augenblicke später liegen sie leblos am Boden. Mit brutalen Bildern geizt Dominic Friedel nicht in seiner Uraufführung von Philipp Löhles „Feuerschlange“. Dass Kinder als Opfer wie als Täter zu sehen sind, schockiert. Zunehmend weicht die Betroffenheit aber größtem Respekt. Schließlich verarbeitet der Regisseur mit den Kindern die Dinge, denen sie in den Medien ausgesetzt sind: Bilder von abgeschlagenen Köpfen nach IS-Terroranschlägen oder tote Soldaten im Krieg – das ist die Welt, mit der schon die Kleinsten fertig werden müssen. Angesichts dessen bleibt der moralische Aufschrei da im Halse stecken.

Und der Kinderchor, der die „Häschen“-Texte im Stück zerpflückt, bringt es ironisch auf den Punkt: „Kinderarbeit. Ja, da rollen wir alle betroffen mit den Augen. Aber was ist denn bitteschön ein Kind? … Und Kinder in einer Fabrik, die damit helfen, ihre Familie zu ernähren und die kranke Mutter zu pflegen, das ist böse! Aber Kinder, die auf eine Bühne gestellt werden, wo man ihnen zuguckt, wie sie Dinge tun, die sie nicht verstehen, das ist ist nicht böse. Das ist gut. Das ist süß.“

Das mit dem Verstehen ist in dem Auftragsstück, das die Waffenexporte der Sturmgewehr-Firma Heckler und Koch aus dem idyllischen Schwarzwald nach Mexiko zum Thema hat, so eine Sache. Löhle untersucht den Deal bei „Lecker und Loch“, verortet ihn in der Geschichte und reflektiert Konsequenzen. Nicht nur die Kinder dürfen feste schwäbeln. Er bedient er sich des aztekischen Kriegs- und Sonnengotts Huitzilopochtli – dessen Namen die Kinder kaum aussprechen können. Mit politischem Tiefgang verfolgt Löhle den Weg eines Gewehrs, in indianischer Sprache „Feuerschlange“ genannt, auf einer Zeitreise.

Friedels Uraufführung der 15 „beliebig kombinierbaren“ Szenen hat starke Momente. Etwa das Gespräch dreier Schülerinnen als schwäbische Mütter, deren Söhne Rajid, Devid und Matthias zu Kriegsgegnern werden. Aber dennoch fehlt ihr der Witz. Und der ist auch in „Feuerschlange“ zu finden – nur subtiler als gewohnt. Löhles Groteske ist dunkler als das, was man von ihm kennt, aber zeigt eine Entwicklung. Hier bahnt sich die Kraft der Sprachlosigkeit ihren Weg.

Anders als in seinen früheren Löhle-Uraufführungen lässt sich Friedel zu sehr von der Faszination der Fakten hinreißen. Da schießt die Regie viel Potenzial des Textes in den Wind. Peter Schickarts leere Bühne mit einem Holzgerüst lenkt den Blick auf den Trickfilm, der das Geschäft mit dem Tod spiegelt. Susanne Schiefer muss im schrillen Püppchen-Outfit über die Bühne tänzeln und dabei O-Töne eines Waffenexport-Gesetzes der Bundesregierung sprechen. Den witzigen, aber zu lang geratenen Dialog der Ministerien über Waffen im Land der Schnurrbärte spricht der begnadete Komödiant Horst Kotterba mit verteilten Rollen. Trotz seines wunderbaren Spiels verpufft das in Langatmigkeit. Der junge Christian Czeremnych darf im Spiel mit Waffen und Kindern komisch sein. Berit Jentzsch hat mit Robert Kuchenbuch, der sein immenses Spektrum offenbart, ebenso schöne Tanzszenen choreographiert wie mit den Kindern. Wenn sie den kleinsten wie einen leblosen Sack in einem Totentanz über die Bühne schleudert, ist das zwar grenzwertig. Aber die Botschaft kommt an. Das Geschäft mit dem Krieg kennt nur Verlierer.