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Die Hoffnung im Graben

Leoš Janácek: Katja Kabanova

Theater:Staatsoper im Schillertheater, Premiere:25.01.2014Autor(in) der Vorlage:Alexander Nikolajewitsch OstrowskRegie:Andrea BrethMusikalische Leitung:Simon Rattle

Wie ist diese Welt so wüst und leer: Durch schlammigen Grund tröpfelt ein Rinnsal, eine alte Wanne und ein Ölradiator stehen herum, einmal stapeln sich Matratzen, später regnet es, dann wieder brennen Erntefeuer und Kerzensäulen. Mit Türen und Wände ist dieser Raum zugleich Innen und Außen. Dass zu Beginn die alte Glascha Unterwäsche in einer dreckigen Pfütze ausspült, darf man ebenso als Symbol verstehen wie den Hang Katjas, sich im großen Kühlschrank zu verkriechen.

Schnell wird klar: Um Realismus geht es Andrea Breth und ihrer Bühnenbildnerin Annette Murschetz nicht in „Katja Kabanowa“, sondern um einen Seelenspiegel der ja auch religiös hyperventilierenden Titelheldin. Anders hatte das vor acht Jahren, ebenfalls an der Berliner Staatsoper, Michael Thalheimer mit seiner Eine-Idee-Inszenierung gehalten, wo eine sich vorschiebende Wand allmählich Katja den Raum des Seins nahm. Er watschte auch das Publikum ab, als das Restpersonal in den Proszeniumslogen dabei zusah, wie Katja allmählich an die Wand gedrückt wurde – bis sie das Orchester von der Bühne in die Kunst rettete.

Gut, mit Hoffnung geht auch Alexander Ostrowski in seinem Drama „Das Gewitter“ nicht gerade verschwenderisch um, nach dem Leoš Janácek das Libretto seiner 1921 uraufgeführten Oper schrieb: Von der Schwiegermutter Kabanicha drangsaliert, versucht Katja auszubrechen, trifft sich mit ihrer heimlichen Liebe Boris, wird von Schuldgefühlen getrieben, gesteht den Ehebruch und springt in die Wolga. Bei Breth allerdings (die diese Inszenierung schon 2010 für Brüssel erarbeitete) schneidet sie sich die Pulsadern auf und setzt sich in eine alte Badewanne. Zuvor war schon Blut aus Boris’ Koffer getropft – Zeichen dafür, dass seine Abreise Katja töten wird. Durch dieses düstre Breth’sche Bilderrätsel stolziert Deborah Polaskis Kabanicha als böse Herzkönigin, die sich ins osteuropäische Elend verirrt hat. Ihre Stimme ist ein beeindruckend keifender Beißreflex, auch wenn sich die Fülle und Strahlkraft ihrer früheren Wagner- und Strauss-Partien nur noch erahnen lassen. Sie wäscht ihren Sohn Tichon, den Stephan Rügamer als aufbrausenden Schwächling spielt und mit schneidender Schärfe singt, ausführlich und resolut zwischen den Beinen und verheddert sich später mit Boris’ Onkel Dikoj im peinlichen Gefummel – ihre moralische Überlegenheit erweist sich als Pose.

Dafür, dass Hoffnung in dieser verkommenen Welt keine Option ist, steht Florian Hoffmanns Kudrjasch, der zusammen mit Anna Lapkovskajas Varvara ein äußerst wohlklingendes junges Gegenpaar zu Katja und Boris bildet: Anfangs trägt er stolz einen Fisch in der Plastiktüte herum, am Ende lässt er das Wasser ab. Zuvor hatten die beiden ihr Stelldichein schon als routinierte Nummer zwischen den Büschen abgehakt – auf die neue Generation muss also niemand bauen. Auch auf Boris nicht, obwohl der bei Pawel Cernoch energiegeladen klingt und weite Gesangslinien malt – am Ende zieht er sein Erbe (das er nur erhält, wenn er gehorcht) seiner Liebe vor.

Kein Wunder also, dass Katja, diese graumäusige Frau in ihrer ausgeleierten Strickjacke, keinen Ausweg sieht. Zumal, wenn sie ihre Emotionen derart in sich hineinfrisst wie bei Eva-Maria Westbroek: Auf kaum eine Demütigung reagiert sie, scheint sich in sich selbst zu verkriechen. Nur ihre Stimme glüht, leuchtet immer prachtvoller auf, eine Emotionsschleuder, die all das erzählt, was in der reduzierten Körperlichkeit ungesagt bleibt. Gerade in der Liebesszene mit Boris strahlt es, als sei da ein veritables Heldenpaar am Werk.

Ähnlich verhält es sich mit Simon Rattle und der Staatskapelle. Sie sind ja ein eingespieltes Team; zuletzt hatten sie mustergültig Janáceks „Aus einem Totenhaus“ erarbeitet. Was Breth nicht zeigen will, davon lässt sich beredt musizieren. Vor dem Hintergrund der lähmenden Bühnen-Tristesse pulsieren die geschichteten Klangflächen und -farben, die sich überlagernden Tempi und Melodien um so plastischer. Oft gewinnt Rattle eine radikale Tiefenschärfe und abgestufte Räumlichkeit, etwa zu Beginn, wo er den Klang in völliger Finsternis aus dem Nichts zaubert, als ging es ums „Rheingold“, aber auch später, wo man oft den Eindruck hat, er lasse zwei Orchester gegeneinander antreten – elektrisierender Hörsport für die Ohren. Mag auf der Bühne auch die Hoffnung sterben, im Graben vibriert sie warm.