Foto: „Saison der Wirbelstürme“ als Theater-Webserie in der Regie von Mina Salehpour © Ana Lukenda
Text:Jan Fischer, am 19. Juni 2021
In La Matosa ist die Hexe ist tot, halb verwest aufgefunden in einem Zuckerrohrfeld, und da beginnen in „Saison der Wirbelstürme“ die Probleme erst so richtig. Für das Schauspiel Köln inszeniert Mina Salehpour den Roman der mexikanischen Schriftstellerin Fernanda Melchor als sechsteilige Online-Serie.
Roman wie Inszenierung zeichnen multiperspektivisch den Zerfall des kleinen Dorfes in der mexikanischen Provinz nach – was als Kriminalfall mit der Frage beginnt, wer die Hexe umgebracht hat, zerfasert sich zu einer Sozialstudie einer Gemeinschaft voller Narcos, Machismo, Frauenhass, Armut, Krankheit, Prostitution, Vergewaltigung und Inzest, für die letztendlich keine Rolle mehr spielt, wer nun der Täter ist.
Da ist zum Beispiel Brando, der mit seiner Homosexualität hadert, weil er deswegen diskriminiert wird. Da ist die 13jährige Norma, die die Hexe wegen einer Abtreibung aufgesucht hat. Da ist Munra, dessen Frau sich prostituiert. Da ist Yesenia, die zu jung zu viel Verantwortung für ihre Familie übernehmen muss. Und so weiter: Gebrochene Gestalten, die in klebriger Körperlichkeit feststecken, ohne Perspektive auf Besserung in der Armut und der Hoffnungslosigkeit der Provinz.
Die Autorin Fernanda Melchor hat ihre Geschichte dabei in die literarische Gattung der Crônica verpackt – eine hauptsächlich in Portugal und Brasilien verbreitete Feuilleton-Gattung, die über objektive Nachrichten hinaus kolumnenartige, stark subjektiv geprägte Geschichten erzählt. Tatsächlich ist auch Melchors Buch eine Mischung aus Fakt und Fiktion – ausgehend von der Nachricht vom Tod einer Hexe begann sie zu recherchieren und beschloss, weil sie mitten in der Recherche auf Drogenhandel, Korruption und politische Verwicklungen gestoßen war, ihren Stoff stark zu fiktionalisieren. Das Ergebnis liest sich – und hört sich an –, als erzählten abwechselnd Gabriel García Márquez, Truman Capote und Stephen King auf einem heruntergekommenen mexikanischen Busbahnhof im Mezcalrausch eine gemeinsame Geschichte.
Mit anderen Worten: Es ist eine starke, wenn auch dunkle Geschichte, die Salehpour in Köln auf die digitale Bühne bringt, eine, die sich stark auf Frauenfiguren fokussiert, auf einerseits die Hexe und die Dienste – irgendwo zwischen Psychologin und Ärztin –, die sie dem kleinen Dorf anbot, aber auch auf die Verachtung, die ihr für ihr Leben außerhalb der akzeptierten Normen entgegenschlägt. Andererseits eben auch auf die Gewalt, die den Frauen angetan wird. Die Verachtung, die Vergewaltigungen, der Ausweg in die Prostitution und die Drogen, die Affären und Liebschaften und Dramen, die immer in Gewalt enden, gerne auch in heftiger Sprache. „Es spielte keine Rolle, dass sie eine Hexe war, lecker war die Fotze trotzdem“, heißt es einmal, „weil jeder wusste, dass Männer nur soweit gingen, wie Frauen es ihnen erlaubten“, ein anderes Mal.
Salehpour weiß, was sie an der Geschichte hat: Die Inszenierung konzentriert sich in den sechs Folgen hauptsächlich darauf, sie nachzuerzählen, weniger darauf, sie nachzuspielen. Selbstverständlich: Da wird, in gleitendem Übergang zwischen auktorialem Erzählen und Innenperspektive der Figuren, geschrien, da wird verzweifelt, aber es sind nur kleine, feine Stellschrauben, welche die Inszenierung dreht, um den Text auf die digitale Bühne zu bringen.
Schwarzer Sand ist ein Hauptmotiv, das immer wieder genutzt wird: Die Darsteller und Darstellerinnen bedecken sich damit, wühlen darin, hin und wieder gibt es kleine Irritationsmomente mit Musik oder auch einer großen, surreal ausgeleuchteten Plastikfolie. Aber insgesamt ist Salehpours „Saison der Wirbelstürme“ eine minimalistische Inszenierung, die mit zwei, drei bedächtig gesetzten und geradezu kühlen Motiven die heiße Wucht des Textes kontrastiert.
Damit gelingt Salehpour ein starkes Stück Onlinetheater – der Fokus auf den Text ist perfekt für die Bildschirminszenierung, bei der ja die Aufmerksamkeit doch oft stärker wandert als im Theatersaal. Gleichzeitig kommt aber auch eine intensive, bildlich leicht surreal wirkende Geschichte zustande, die als Sozialstudie mit brachialer Freude die Metastasen der Gewalt – hauptsächlich gegen Frauen – in der Dorfgemeinschaft freilegt und anprangert.