Foto: Stefan Willi Wan und Julia Bartolome © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 22. Oktober 2016
Zwei der drei römischen Shakespeare-Dramen sind samt ihrer Helden längst zu „Raritäten“ abgestempelt, das Schicksal des populärsten Protagonisten Julius Cäsar wird inzwischen öfter in Opernhäusern als im Sprechtheater verhandelt. Wenn sich der Nürnberger Schauspieldirektor Klaus Kusenberg, als Regisseur zuletzt mit „König Lear“ und „Hamlet“ in Williams´ Kosmos eher traditionell unterwegs, für sein vorletztes Amtsjahr nicht etwa ein einziges dieser sperrigen Zumutungen aussuchte, sondern alle zu einer übergreifenden „Römischen Trilogie“ verbinden ließ, wirkt das zunächst mal wie eine Mutprobe. Respekt! Aber tollkühn nun auch wieder nicht, denn mit Hilfe des derzeit wohl begabtesten Second-hand-Autors John von Düffel ist der weit ausholende Ur-Text, mit dem man bequem eine ganze Woche Spielplan machen könnte, zu einem einzigen, mit entspannten dreieinhalb Stunden nur sachte ausufernden Abend gestaucht. Überschrieben allerdings wie in einem dreifach gestreckten Salto zum Trittbrett von Stieg Larssons auch nicht unbedeutender Krimi-Trilogie, hier mit sanfter Ironie portioniert unter „Verachtung“ (Coriolan), „Verschwörung“ (Julius Cäsar), „Verführung“ (Antonius und Cleopatra). Es geht um Machtanspruch, Beziehungsgeflechte, Manipulation. Sandalen muss dafür niemand mehr anziehen, allenfalls Cleopatra besteht auf dem kleinen Glamour-Dienstweg über Hollywood.
Zunächst gibt die Bühne nur einen Spalt als Breitwand-Durchblick frei, die Figuren gucken gebückt ins Publikum, das da Weltgeschichte erwartet. Sie haben es auch ein paar Nummern kleiner. Zwei Volkstribunen, leicht angegraute Gewerkschafter aus dem Ortsverein Rom, naschen an der Demokratie und blockieren im Aufsichtsrat den neuen Vorstands-Konsul. Der auserwählte Kriegs-Heros Coriolan, nach Outfit und Umgangsform offenbar in einer Motorrad-Gang sozialisiert, verweigert Wahlkampf-Wohltaten, gibt den starken Mann und „verachtet“ alle. Ein polternder Anti-Populist unter Demagogen-Beschuss? Kann man so sehen, ist halt etwas platt. Jedenfalls ist er der Prototyp für die folgenden Über-Männer: Die Helden sind rüde.
Im gleitenden Übergang zur „Verschwörung“ übernimmt das Phantom Julius Cäsar, der erfolgreiche Pragmatiker der Politik. Man sieht ihn nicht, aber sein Ruf sagt mehr als tausend Bilder. Ein Erfolgsmodell mit nach oben offenem Ende in der Karriere-Skala, das die biederen Frontmänner der zweiten Reihe in Angstträume versetzt. Mit Brutus an der Spitze wird das Problem mit viel Vaterlandsbeschwörung unter „Tyrannenmord“ reguliert, aber Cäsars Gefährte Marc Anton („Mitbürger! Freunde! Römer!“) schwingt die rhetorische Keule am Grab. Ein Duell der Wortgewaltigen, der diesen Teil der Aufführung weit über die anderen erhebt. Danach wird Exotik gereicht, es geht um „Versuchung“. Marc Anton heißt nun Antonius, pflegt ein unkonventionelles Eheleben, ist Feldherr für Rom und Liebhaber für Cleopatra. Sie residiert mit güldenem Kleid vor plätscherndem Pool in Ägypten, wie wir und der Regisseur das aus dem Kino kennen. Liebe mischt sich in Politik, Hochverrat in Depression. Zeit für den nächsten Machthaber. Cäsars Adoptivsohn Octavius ist zur Stelle, übernimmt die alterslose Cleopatra, die schon seinen Ziehvater beglückte und stellt klar, wer nun das Sagen hat: „Salve“ brüllt er mit all dem Zorn, der unter Herrschern als Autorität gelten mag, der schockierten Alt-Königin mitten ins Blackout.
John von Düffels Fassung, die den vielfach gebrochenen Shakespeare-Charakteren schon aus zeitökonomischen Gründen manche Kante abschleift, kann sich auf die eigene Neuübersetzung auf schlankem Fuß verlassen. Der Bearbeiter treibt die Handlung damit flott zu den Höhepunkten und lädt die poetische Kunstfertigkeit mit Thriller-Energie auf. So lassen sich Rituale der Besitzergreifung in Politik und Privatleben gut miteinander verquirlen. Die Inszenierung von Klaus Kusenberg nimmt das auf und will doch deutlich mehr. Auf der mehrstufigen Bühne von Günter Hellweg entwickelt sich ein Spielraum, der im Wechsel zwischen Dekoration, Möblierung und Mystik manches Rätsel anbietet. Während Stühle wie ein Mobile im Himmel hängen und weit hinten aus undefinierbarer Quelle dauerhaft Rauchzeichen aufsteigen, kann der scharfsichtige Zuschauer weit oben kleine Bildschirme mit Doku-Schnipseln der Weltlage mehr vermuten als erkennen – nur eine Ahnung von Schock und Elend. Drunter Szenen zeitloser Intrigen-Dynamik mit gelegentlich wundersamen Einfällen. Wieso alle Leute dauernd aus der Milchflasche nachschenken? Nein, kein Vitaminstoß der frommen Denkungsart – es geht, wie erst spät am Abend ein Dialog-Nebensatz auflöst, ganz römisch-platonisch um die „Wolfsmilch der Macht“.
Nur zehn Akteure (einer davon, Werner Treiber, als Percussion-„Musicus“ ganz Klangzauberer für den imponierenden Live-Soundtrack) hat Kusenberg für die personalintensive Trilogie. Zu eindeutig wollte er sie offenbar nicht verpflichten, ob das als Grundvereinbarung für fliegenden Rollenwechsel demonstrativ in Anspruch genommen oder widerlegt werden soll. Der mächtig aufdrehende Stefan Willi Wang nimmt also seinen Coriolan wie ein Depressionsmodell zum Antonius mit, während er zwischendurch als Marc Anton wunderbar differenzierte Zwischentöne hören lässt. Adeline Schebesch zelebriert zwischen der coolen Polit-Beraterin Agrippina (Teil 1) und der späten Braut Octavia (Teil 3) die Schüttel-Trance einer Wahrsagerin, kreiert also drei verschiedene Rollen. Frank Damerius wiederum hat als Brutus, ganz Stratege mit Unfallgefahr, große Momente, die ihm beim Rentner-Volkstribun und als ausgestopfter Wohlstandsbauch-Krieger schwerlich gelingen können. Julian Keck lässt auf dem Junioren-Ticket Zornesadern und Stimmbänder schwellen, Julia Bartolome gibt der Cleopatra ihre Affekte so glitzernd wie das Kostüm.
Klaus Kusenberg schlängelt sich geschickt zwischen Thriller-Drama und aufgeheitertem Psycho-Boulevard durch, drückt auf die Action-Tube (hier Rauferei im Trockenen, dort Fallstudien im Planschbecken) und baut an eindrucksvollen Bildern. Manchmal bringen Plakate die beste Feinarbeit. Nichts bleibt von dieser Aufführung stärker in Erinnerung als der Auftritt nach dem Meuchelmord an Cäsar. Brutus und seine Bande wohlmeinender Bürger strecken ihre blutigen Hände in die Luft, dem Volk, ja auch den Zuschauern entgegen. Verachtung, Verschwörung, Verführung. Verflucht!