Foto: Szene aus "Das Kind der Seehundfrau" am Nürnberger Theater Pfütze © Wolfgang Keller
Text:Ulrike Kolter, am 18. März 2011
Es ist ein altes Inuit-Märchen, eine wunderbare Geschichte: Irgendwo am Nordpool lebte ein Fischer im ewigen Schnee, ernährte sich von Fisch und war dabei mit seiner Einsamkeit ganz im Reinen. Bis er eines Tages einige tanzende, wunderschöne Frauen am Ufer beobachtet: Splitternackt sind sie, denn es sind Seehundfrauen, die ihre Felle abgelegt haben. Weil der Fischer nicht widerstehen kann, versteckt er das Fell einer der Schönen und bringt sie dazu, seine Frau zu werden. Sie willigt unter der Bedingung ein, in sieben Jahren ihr Fell und damit ihr Seehundleben zurückzuerhalten. So verlieben sich beide, bald wird ihr Sohn Oruk geboren, und im Familienglück scheint die gesetzte Frist vergessen – bis die Frau schwer erkrankt und zu sterben droht.
Das Theater Pfütze hat in Kooperation mit dem Staatstheater Nürnberg dem Stück von Sophie Kassies in dieser Spielzeit eine neue, sehr dichte Fassung gegeben. Nachdem die Uraufführung 2006 am Jeugdtheater Sonnevanck im niederländischen Enschede stattgefunden hatte, war auch die neu vertonte Fassung der deutschen Erstaufführung als Kooperation der Mannheimer Jungen Oper und dem Oldenburgischen Staatstheater ein großer Erfolg. In Nürnberg hat Martin Zels jetzt eine neue, eigene Klangwelt aus Liedern und Schlagwerk für das Stück komponiert; Musikalisches Erzähltheater nennt es sich, ist für Kinder ab 9 Jahren und dauert eine Stunde.
Getragen wird die Inszenierung von der wandelbaren Bühnenbildkonstruktion Andreas Wagners. Einem Kubus aus Metallverstrebungen wurden die Instrumente quasi eingebaut: Vibraphon, Trommeln und Becken hängen im Würfel-Gerüst, das sich diagonal zerteilen, verschieben und drehen lässt. So wird es abwechselnd zur Fischerhütte der Kleinfamilie, zur Unterwasserwelt, aufgeklappt dann zu Felsklippen oder Eisschollen. Dass diese phantastischen Welten mithilfe einfachster Theatermittel entstehen, der Klangraum dabei doppeldeutig auch den Lebensraum formt, ist auch dem bezaubernden Spiel der fünf Darsteller zu verdanken: Christine Janner, Regine Oßwald, Jürgen Decke, Andreas Wagner und Martin Zels singen, spielen und schlagen die Schlagwerke mit einer Energie, die nicht nur kleine Zuschauer völlig abtauchen lässt.
In der Regie von Christopher Gottwald gibt es keine festen Rollen, abwechselnd erzählen die fünf, wechseln zwischen den Figuren und Perspektiven, doch Verwirrung entsteht dadurch keine. Die Geschichte fließt, schneidige Melodien und Rhythmen treiben die Handlung voran, die Phantasie wird exquisit angefüttert. Am Ende bringt Oruk der Mutter ihr Fell wieder, sie gesundet und kehrt ins Meeresleben der Seehunde zurück. Oruks anfängliche Wut auf den Vater vergeht, der inzwischen selbst trommelnde Junge bleibt auf den Meeresklippen im Zwiegespräch mit den Seehunden… Das Pfütze-Team hat ein kleines Theaterglück erschaffen – für alle, die es teilen durften.