Foto: Szene aus "Cherryman jagt Mr. White" am TJG Dresden. Bettina Sörgel, Nahuel Häfliger © Klaus Gigga
Text:Caren Pfeil, am 25. März 2013
Rick lebt in dem Kaff Storlitz, wo es keinen Job gibt und keine Lehrstelle, dafür Jugendliche, die saufen und rechte Parolen brüllen. Obwohl Rick mit Vladimir, Tine und Robert schon in den Kindergarten ging, wird er schnell zum „Opfer“ der Clique, die ihn zwischen Demütigung und Freundschaftsangebot in Angst und Schrecken hält. Zuhause flüchtet er sich in die Gewaltphantasien seines Comic-Helden Cherryman, den er die Feinde niedermetzeln läßt. Als ihm die Clique eine Lehrstelle als Gärtner in Berlin besorgt, nimmt er an, trotz der Bedingung, die daran geknüpft ist. Er soll für den rechtsgerichteten „Heimatschutz“ einen jüdischen Kindergarten ausspionieren. Er tut dies wider Willen, und als er ein Mädchen kennenlernt und seine erste Liebe erlebt, verstrickt er sich immer mehr in Lügen nach allen Seiten. Doch erst als der „Auftrag“ mörderisch wird, entledigt er sich seiner Peiniger und seiner Angst mit einem äußerst gewalttätigen Rundumschlag.
Die Geschichte zeigt Mechanismen, aus denen Abhängigkeiten erwachsen, und die Gefahr, in Ermangelung von Zukunftsperspektiven den falschen Ideologien auf den Leim zu gehen. Allerdings bleiben die Clique einschließlich ihrer „Führer“ im 2011 erschienenen Buch von Jakob Arjouni wie in der Inszenierung so schablonenhaft, dass das Durchschauen rechter Propaganda kaum eine Rolle spielen kann. Was bleibt, ist das Psychogramm von Rick, der aus Angst zum Mitläufer wird. Da dieser Rick aber durch und durch symphatisch ist und immun scheint gegen rechte Propaganda, reduziert sich die Fragestellung darauf, wie man sich gegen Gewalt zur Wehr setzen und wann man nein sagen kann und muss.
Trotz der Einwände beeindruckt die Inszenierung von Ania Michaelis durch eine klare Ästhetik, die den Realismus der Geschichte zugunsten innerer Prozesse vergrößert, und die mit konsequenten Schnitten in die Szenen hinein viel Raum läßt für das eigene Denken. Das Ensemble ist motiviert für diese reduzierte Spielweise und füllt sie mit Genauigkeit und intelligenten Weglassungen. Nahuel Häfliger als Rick ist immer dann eine starke Identifikationsfigur für das Publikum (ab 14), wenn er sich der Übermacht der Clique oder einer ihrer erwachsenen Führer stellen muss, auch in der sensibel erzählten Begegnung mit dem Mädchen Marilyn. In dazwischen geschobenen Monologen, in denen er rückblickend seine Geschichte kommentiert, scheint er sehr reflektiert, was der Figur ein wenig von ihre Verletzlichkeit nimmt.
Ein Ereignis der Inszenierung sind die Comiczeichnungen von Conny Klar, die auf die weißen Wände der leeren, sich nach hinten verjüngenden Kastenbühne projiziert werden: In fiebrigem Tempo gemalt, zeigen sie die Monster und Wunschträume, die in Ricks Kopf immer mehr Raum einnehmen. Dieses erstaunlich sinnliche Mittel nutzt sich in den 85 Minuten Spieldauer nicht ab, sondern hilft dem Schauspieler, die Innenwelten dieses jungen Mannes nach außen zu transportieren, seine Ängste zu verstehen. Die Fragen am Schluss, ob vor Gott alle Toten gleich sind, ob es moralisch richtige Gewalt gibt, bleiben unbeantwortet. Das Publikum nimmt sie mit auf den Weg.