Foto: "Clavigo" am Jungen Ensemble Stuttgart © Tom Pingel
Text:Manfred Jahnke, am 10. Juni 2013
Ein karrierebewusster Jüngling, zwischen Liebe und öffentlicher Anerkennung changierend, einer, der nie auf seine innere Stimme hört, sondern auf die seines „Coaches“ – ja, so könnte man „Clavigo“, vom genialischen Johann Wolfgang Goethe in nur acht Tagen niedergeschrieben, beschreiben. Und eigentlich ist es erstaunlich, dass erst jetzt das Junge Ensemble Stuttgart „Clavigo“ als Jugendstück entdeckt. Regisseur Kristo Sagor und seine Dramaturgin Agnes Gerstenberg behalten dabei die Goethe’sche Sprache bei. Sie streichen nur wenig, entschlacken das Trauerspiel um die Nebenfiguren wie Buenco oder Guilbert. Die Handlung wird dabei von Madrid und den spanisch-französischen Verstrickungen nach Stuttgart/Ludwigsburg mit schwäbisch-serbischen Konflikten verlegt, ohne dass durch diese neue Verortung die Handlung sich verändern würde. Und wenn aus den Guilberts nun Markovics werden, bleibt nicht allein durch die Sprache Goethes, auch wenn die Kostüme sehr gegenwärtig wirken, die Handlung modellhaft-zeitlos. Insbesondere das Bühnenbild von Alexandre Corazzola betont diese modellhafte Anordnung: im leeren Bühnenraum ist ein niedriges Wasserbecken eingelassen, inmitten dieses Beckens steht eine große Schaukel, auf der alle fünf Schauspieler platziert sind. Sie verlassen diese Schaukelspielfläche nur, wenn sie kämpfen und sich ins Wasser stossen. Alle fünf Schauspieler sehen sich gegenseitig zu und wenn heftige Wortgefechte in Gang sind, dann beginnt auch die Schaukel zu steigen und zu senken.
Sagor führt dabei die Schauspieler eng, denn diese Konstellation drängt auf minimale Gesten, wenn auch die großen Ausbrüche nicht ausgeschlossen sind. Dieses Spiel beherrscht Gerd Ritter als der Berater Carlos am eindrucksvollsten, ein Blickkontakt genügt ihm, um Clavigo zu durchdringen. Sagor benutzt zudem in seiner Figurengestaltung wenige typische körperliche Gestiken und Bewegungsformen. Alexander Redwitz spielt den Markovicz, den Bruder der Marie, als emotionalen Hitzkopf, hingegen bleibt Sophie, die Schwester Maries, auf mehr beobachtende Momente reduziert. Elisabeth Jakob entwickelt für ihre Figur der Marie unaufdringliche Leidensmerkmale, sie versucht cool zu bleiben, aber um so mehr drückt sich in diesem Versuch der erlittene Schmerz aus. Michel Diercks schließlich als Clavigo bewegt sich wie jemand durch den Raum, der zwischen euphorischen Emotionen und Depression nie zu sich selber findet. Kristo Sagor gelingt es dabei in seiner Regie, eine starke Spannung zwischen den Figuren aufzubauen. Er lässt diese Geschichte von Goethe dem Publikum unter die Haut gehen, weil er den Dichter ernst nimmt. Um so mehr wirkt der Schluss wie eine Ohrfeige. Mit der Szene, in der Clavigo am Haus der toten Schwester vorbei kommt, muss Diercks nun so agieren, wie es jedem Schauspielschüler beim Vorsprechen verboten ist, da herrscht pure Ironie: warum dann aber Goethe wählen und dazu eine so spannende Regiekonzeption wählen, wenn sie am Ende doch wieder dementiert wird?