Foto: Karin Nakayama (l.) und Annika Boos im Mauseloch © Birgit Hupfeld /Deutsche Oper am Rhein
Text:Andreas Falentin, am 5. Februar 2019
Ein großartiges Projekt. Von vorne bis hinten. Klug gebaut. Klar erzählt. Enthusiastisch und kundig vorgetragen. Erneut hat die Junge Oper am Rhein, ein Zusammenschluss der Opernhäuser in Bonn, Dortmund, Düsseldorf und Duisburg zur Produktion von Musiktheater für ein junges Publikum, gezeigt, dass sie eine gute Idee ist – und längst eine leistungsfähige Institution.
„Nils Karlsson Däumling“ ist eine Produktion für vier- bis sechsjährige Kinder und wird ambulant in Kindertagesstätten gespielt. Keine 20 Quadratmeter braucht das Bühnenbild von Birgit Kellner. Es besteht aus Teppichrollen und einer Kiste. Und die kann alles. Und alles sein. Bett und Mauseloch, Küche und Keller samt Treppe.
Manfred Weiß, selbst Chef von Semper Zwei, der Studiobühne der Dresdner Semperoper, hatte die Idee zu dem Projekt und schrieb ein Libretto nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Astrid Lindgren. Der Komponist Thierry Tidrow wurde hinzugezogen und man entschied sich für eine Besetzung. Bertil, das Kind, das so oft allein ist, singt Sopran und der Däumling selbst ist für eine(n) sprechende(n) Geiger(in) gesetzt. Mit dieser Voraussetzung gingen Tidrow, der Regisseur Anselm Dalferth, die Sopranistin Annika Boos und die Geigerin Karin Nakayama in einen achtwöchigen Probenprozess und entwickelten gemeinsam ein Stück und seine Inszenierung.
Das Ergebnis ist in fast jeder Hinsicht erstaunlich. Weil die Geschichte einer Freundschaft, die ihr Fundament durchs sich gegenseitig helfen erhält, immer aktuell ist. Weil sie hier hinreißend klar und direkt erzählt wird und doch bei aller Rationalität den großen Theatereffekt nicht scheut. Und der wirkt auch in einer absolut geheimnislosen Kita-Turnhalle bei normalem Raumlicht. Und es ist sogar Poesie dabei. Sie schleicht sich ins Spiel durch die Konzentration und Lockerheit des Darstellerduos, durch den Charme, die kräftigen Stimmfarben, den leichten Stimmsitz, das perfekte Timing von Annika Boos. Und durch den leidenschaftlichen Gleichmut von Karin Nakayama, die bei weitem nicht nur Geige spielt und eine Figur verkörpert, sondern sich auch mehrfach unsichtbar auf engstem Raum umzuziehen und die „Bühne“ umzugestalten, zu sprechen, zu singen und zu tanzen hat.
Das Ganze ist nicht nur hervorragend gemacht, sondern genauso hervorragend gedacht. Durch die unterschiedliche Ausrichtung der Darsteller wird das Anderssein betont, durch die unterschiedlichen Ausdruckskanäle wird dazu der Subtext wie von selbst vermittelt. Dazu die Musik von Tidrow die auf der kammermusikalischen Ebene die ganze Bandbreite abschreitet, von der Kantilene bis Geräusch, von Reibung bis zu harmonischem Zusammenklang, mit einer so einfachen wie mitreißenden Melodie im Zentrum. Das Ganze ist eingebettet in kurze, unprätentiöse Vor- und Nachbereitungen für die Kindergartengruppen, als Erfolgs- und Leistungskontrolle für die Künstler, vor allem aber, um den Kunstgenuss in die „normale“ Lebenswelt der Kinder zu verlängern. Und diese Kinder folgen den 40 Minuten nicht immer still, aber durchgängig gespannt und fröhlich.
Nach 10 Kitas in Düsseldorf und Umgebung geht das Projekt turnusmäßig nach Bonn und Dortmund – und hoffentlich an viele andere Orte. Denn hier ist wirklich eine tolle Möglichkeit entstanden, bereits sehr jungen Menschen begreiflich zu machen, dass „Oper“ nicht im Altersheim wohnt.