Die Wände sind also offen auf der weiten Bühne. Die Gespräche sind gekonnt präsentiert, die Seelen bleiben aber verschlossen. Robert Ickes Textfassung aktualisiert die Sprache, greift aber strukturell kaum in die Gespräche oder die Formung der Figuren ein. Britisches Konversationsstück trifft bei dieser Inszenierung am Schauspiel Stuttgart somit Tschechows bittere Komödie. Das Problem ist, dass diese frühe „Komödie“ Tschechows weniger in die Tiefe (und Breite) geht als die späteren Klassiker, die Handlungsebene wirkt hier noch dominanter als die selbst-entlarvenden Gespräche. Das Geschehen bleibt also an der Oberfläche – oder im seichten Wasser; die Heimat des Dramas bleibt vage.
Benjamin Grüter spielt einen kontrolliert wirkenden Mann, dessen Abdriften in eine depressiv aufgeladene Midlife-Krise erst aufscheint, wenn er mitten im Gespräch in ein Schluchzen ausbricht. Die Schwäche der Titelfigur ist nicht aufdringlich, und darum nur bedingt erkennbar. „Ich bin ein Witz“ bleibt eine Behauptung. Ähnlich kontrolliert, als Figur aber spannender, wirkt seine Ehefrau Anna; Paula Skorupa spielt kein leidendes Hascherl, sondern eine an sich selbstbewusste Frau, die in einer ausweglosen Lage ist. Die jüdische Religion und damit den Kontakt zu den Eltern hat sie für ihren Mann aufgegeben, doch der begegnet ihr mit Apathie und Desinteresse. Später ist sie eine von der Krankheit todgeweihte Krebspatientin, womit die Verantwortung des Gatten in dieser Version gegenüber dem Originaltext deutlich gemindert wäre. Die beiden jungen Frauen sind im Stuttgarter „Iwanow“ jedenfalls die stärksten Gestalten. Am Ende nach Annas Tod, bei der scheiternden Hochzeit zwischen Niklas-Iwanow und Sascha, schlägt die Braut den moralisierenden Doktor, ein wunderbar sich windender Felix Strobel, nieder. Auch der schlaffe Onkel (Klaus Rodewald) und Freund Peter (Michael Stiller) sind, überzeugend gespielte, Männer ohne Mumm, Peter ist nur der leidende Bote seiner geizigen Frau (Mariette Meguid), die allerdings kaum Raum für ihre Figur bekommt.
Zwischen den Akten blickt Nikolaus-Iwanow nach oben in eine Kamera, das Filmbild wird auf die große Rückwand am Ende der Bühne übertragen. Von hier aus ist die Bank als Sarg erkennbar, hier erschießt er sich, als er im Hochzeitstrubel keinen anderen Ausweg mehr weiß, ohne Zögern. Und dann erhebt sich der gefallene Mann und stapft durchs Wasser von der Bühne, verlässt den Raum durchs Parkett. Die auf der Bühne zurückgebliebenen trauern weiter um den auf der Leinwand noch liegenden Iwanow. Ist er also doch ein Hochstapler oder war das ganze Spiel nur ein Alptraum? Die Inszenierung lässt viele Fragen offen, tut dies gekonnt, bleibt somit aber auch ein recht unverbindliches Drama.