Foto: Stephanie Hancox in "Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan". © Charles
Text:Vesna Mlakar, am 27. Dezember 2011
Die Briten hatten’s mal drauf: Neben John Cranko (als Ex-Chef fest verankert im Repertoire des Bayerischen Staatsballetts) prägten vor allem Frederic Ashton und sein jüngerer Kollege Kenneth MacMillan die Ballettwelt um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Ihre choreografische Raffinesse, verteilt auf eine breite Stückvielfalt, wurde zur jeweiligen Hauptschaffenszeit (nicht nur) für die eigene Kompanie bedeutsam. Markante Arbeiten – als „Stilikonen“ gehütet – werden noch immer von Generation zu Generation überliefert.
So konnte Ivan Liškas Ensemble, dessen neue Spielzeit unter dem Motto „Very British!?“ steht, mit Christopher Carr (ehem. Solist und Ballettmeister) für „Scènes du Ballet“ und Grant Coyle (Tanznotator) für „Frühlingsstimmen“ zwei Koryphäen des Royal Ballett für die Einstudierung der beiden Münchner Ashton-Erstaufführungen gewinnen. Kuriositäten, die in ihrer reglementierten Formverzauberung bzw. dahingetuschten, beschwingten Leichtigkeit erstaunen (eine Augenfreude: die zierliche Katherine Markowskaja mit Lukáš Slavický).
Margot Fonteyns und Michael Somes Partien des Solistenpaares bei der Uraufführung von Ashtons 1948 kreierten und in ein Architektur-Dekor à la de Chirico verpackten „Ballettszenen“ (Musik: Igor Strawinsky) übernahmen – fast, so hatte man den Eindruck, noch etwas verunsichert ob der geforderten inhaltsleeren Distinguiertheit in der Interpretation – Daria Sukhorukova und Maxim Chashchegorov. Ashton selbst hatte das 20-minütige Divertissement als „Übung in purem Tanz“ bezeichnet. Das Premierenpublikum am 22. Dezember erlebte eine Hommage an die Struktur- und Formschönheit des klassischen Balletts. „Very tricky“ auch für die 12 Damen vom Corps de ballet und vier in die geometrischen Spielereien mit hineinverwobenen vier Herren.
Kontrast hierzu boten die „Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan“ – ein Repertoire-Dauerbrenner, den Stephanie Hancox barfüßig, mit gefühlt langen Pausen zwischen den Kompositionen pathosgetragen und musikalisch feinfühliger als ihre Klavierbegleitung darbot: emotionale Abrisse im Frei-Stil der amerikanischen Ausdruckstänzerin – und anders als „Ashton auf Spitze“. Dank solcher „Erbstücke“ lassen sich Entwicklungsstränge zum heutigen Ballettschaffen begreifen. Lediglich ein Wiedersehen, dabei dennoch Highlight des Abends: die Reprise von Kenneth MacMillans „Lied von der Erde“ aus dem Jahr 1965. In den Hauptpartien wie bereits 2007 die Kompanie-Stars Lucia Lacarra und Tigran Mihayelyan, flankiert von dem hoch gewachsenen Marlon Dino. Im 3. und 4. Satz führten Ilana Werner sehr stilsicher und Séverine Ferrolier ihre Gruppen an.
Es ist der Lauf des Lebens, den MacMillans Choreografie, ausgehend von Mahlers „Lied von der Erde“, assoziativ umkreist: ein Mann, eine Frau – Einsamkeit, Jugend, Schönheit und sorgloses Vergnügen, Vergänglichkeit und Neubeginn. Dazu – fast immer gegenwärtig – die Figur des Ewigen bzw. Boten des Todes (erkennbar an seiner weißen Halbmaske). Rasant im Auftakt endet das Stück mit seinem langen Schlusssatz nach einem großen Pas de deux fast im Stillstand. Das Trio Mann – Frau – Ewiger „fliegt“ in Slow Motion, sich an den seitwärts ausgestreckten Armen berührend, in verblassendem Licht dem Publikum zu. Nachhaltiger könnte die Wirkung nicht sein!