Foto: Ehemals verlobt: Valentine (Jennifer Rowley) und Graf de Nevers (Christoph Pohl). © Ludwig Olah
Text:Joachim Lange, am 1. Juli 2019
In Peter Konwitschnys Inszenierung von Giacomo Meyerbeers „Die Hugenotten“ kracht kein Panzer durch eine Wand, so wie weiland bei seinem „Nabucco“ in der Semperoper in Dresden. Und es gibt auch keinen Schützengraben, in dem kopflose Soldaten tanzen wie bei jener denkwürdigen „Csárdásfürstin“, die 1999 zum Skandal stilisiert wurde und letztlich dazu führte, dass Konwitschny erst jetzt, nach zwanzig Jahren wieder in Dresden inszeniert. Mit dem neuen Intendanten Peter Theiler hat Konwitschny bereits in Nürnberg ebenso erfolgreich zusammengearbeitet wie mit dem meyerbeererfahrenen Stefan Soltész, der jetzt mit der Sächsischen Staatskapelle auf Wagners Wunderharfe einen prachtvollen Meyerbeer hervorzauberte.
Das Gemetzel, das die Katholiken im August 1572 bei der Hochzeit Heinrichs von Navarra mit Margarete von Valois unter den Hugenotten anrichteten, ist als „Bartholomäusnacht“ ins kollektive französische und europäische Gedächtnis eingegangen. 1836 haben Eugène Scribe und Giacomo Meyerbeer daraus die Grand opéra „Les Huguenots“ gemacht. Sie hat danach auch zum Beispiel Heinrich Mann zu seinem Henri Quatre oder Patrice Chéreau zu seinem Blockbuster inspiriert.
Anders als zur Entstehungszeit gehört die Meyerbeer-Oper heute zu den Spielplanwagnissen. Neben der Hegemonie Wagners und dem folgenden gewaltsamen Bruch der Rezeption durch die Nazis, die ihre Spuren in den Hörgewohnheiten hinterlassen haben, sind es natürlich auch die puren Ausmaße einer Grand opéra, die neben dem Willen zur Repertoireerweiterung auch besondere Kraftanstrengungen voraussetzen. Das gilt auch dann noch, wenn man sie wie in Dresden auf deutlich unter vier Stunden kürzt. Aber die Semperoper und die Sächsische Staatskapelle sind Institute, die so etwas nicht nur leisten können, sondern es auch schon wegen ihrer historisch gewachsenen Wagneraffinität in Angriff nehmen sollten. Es hat etwas von einer bewusst gesetzten dialektischen Pointe, dass Theiler gerade am ersten Opernhaus in Sachsen seine Auftaktspielzeit mit Schönbergs „Moses und Aron“ begann und jetzt mit Meyerbeers „Hugenotten“ abrundet. Auch, dass er dafür Calixto Bieito und jetzt Peter Konwitschny nach Dresden eingeladen hat, ist allein schon ein Statement. (Selbst in Paris schreckte man lange Zeit vor diesem Meyerbeer zurück. Mit dem dann eigentlich geplanten Regisseur Peter Konwitschny freilich kamen der Dirigent und Intendant nicht auf einen Nenner, so dass die Koproduktion platzte. Paris hat jetzt seine etwas arg steril geratenen „Hugenotten“ von Andreas Kriegenburg und Dresden eine packende Version von Konwitschny. Auch gut.)
Wenn der Vorhang mit einer Projektion von Leonardo da Vincis berühmtem Abendmahl hochgeht und die Katholiken in einem von Johannes Leiacker nach diesem Vorbild gebauten Raum ein ziemlich ausgelassenes Gelage veranstalten, dann sehen die Kostüme hübsch historisch, gar deutlich nach „Mantel und Degen“ aus. Mit einer königlichen Wanne nebst Harfe für die ihre schönen Koloraturen trällernde Marguerite versehen sogar nach royalem Wellness-Bereich. Doch am Ende senkt sich eine große Finsternis über die Szene und der ganze Raum löst sich auf. Was beides ganz grundsätzlich gemeint ist. Denn der Boden ist mit lauter sterbenden oder gerade ermordeten Hugenotten übersät. Die Mörder, die in der letzten Szene die Hugenotten einschließlich der Frauen und Kinder vor sich hertreiben und mit aus dem Off eingespielten Maschinengewehrsalven niedermetzeln, sehen jetzt aus wie Abgesandte aus der Zukunft jener Vergangenheit Europas. Sie sehen aus wie mordende Fanatiker von heute. Und auch die, die hinter einem Rednerpult von heute den (mündlichen) Befehl dazu gab, die regierende Königin-Mutter Catharine de Médicis, kommt aus unserer Gegenwart in dieses Stück. Im Programmheft sagt Konwitschny, dass sie aus politischen Zensurrücksichten bei der Uraufführung entfernt werden musste und der Mordbefehl dem Katholikenanführer aufgebürdet wurde.
Die Botschaft ist klar und bedarf im Grunde keiner weiteren offensichtlichen Aktualisierung. Da vertraut Konwitschny auf den Bilder- und Assoziationsvorrat seiner Zuschauer. Er widmet sich dem Kern der Geschichte und den Beziehungen zwischen den handelnden Personen. Und das mit der gewohnten Präzision in der Personenführung und Charakterzeichnung. Dabei inszeniert er keineswegs gegen das Genre. Zwar sind neben etlichen Arien auch die Ballette gestrichen, aber es gibt sogar ganz klassische Tableaus, die gelegentlich sogar eingefroren sind. Was beim vorzüglichen Dresdner Opernchor (einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen) immer noch mehr ist als die pure Konzertformation. Hier sind Stimmungen, Ahnungen und der Zweifel an einigen Gesichtern und Körperhaltungen deutlich zu erkennen.
Wunderbar der optische Bogen, der zur finalen Katastrophe führt. Die leitmotivische Projektion des Abendmahls als Sinnbild von Utopie, Verrat und Abschied in einem, wird von Akt zu Akt immer kleiner. Der Bühnenraum wird in Schwarz und Weiß geteilt. Beim großen Liebesduett zwischen dem Hugenotten Raoul und der Katholikin Valentine schließlich ist alles nachtschwarz. Da kann es die Szene nicht nur musikalisch mit den Liebesduetten von Tristan und Isolde oder Dido und Aeneas aufnehmen.
Die Hugenotten haben Götterdämmerungsformat und verbinden wagnerschen Größenwahn mit italienischem Belcanto- und Emotions-Furor. Die Musik ist aber dennoch mit französischer Leichtigkeit aufgeschäumt und behandelt obendrein den großen historischen Gegenstand mit Sprengkraft. All das hört man bei Stefan Soltész und der Staatskapelle. Manchmal geht der Schauer der Musik (oder ihre makaber aufgedrehte flotte Gangart beim Morden) über den der Szene sogar noch hinaus.
In seiner Inszenierung wahrt Konwitschny sicher die Balance von zentraler Lovestory zwischen dem Hugenotten-Aktivisten Raoul (grandios mit Steigerung: John Osborn) und der Tochter des Katholikenführers Valentine (nach einigen Startschwierigkeit in eindringlicher Hochform: Jennifer Rowley) und dem Widerstreit der religiösen Fanatiker. Für die steht auf der einen Seite John Relyea. Als Raouls stattlicher Diener Marcel entrollt der Luthers „Eine feste Burg ist unser Gott“ bei jeder Gelegenheit wie ein Banner aus der Bassgurgel. Auf der anderen Seite ist Tilmann Rönnebeck als Comte de Saint-Bris in seinem Fanatismus ebenso unerschütterlich. Dessen Mordlust fällt nicht nur der kompromissbereite Comte de Nevers, Ex-Verlobter seiner Tochter (Christoph Pohl), sondern auch sie selbst zum Opfer. Venera Gimadieva erobert sich als Königin Marguerite erfolgreich die Koloraturhöhen ihrer Partie, scheitert aber als souveräne Frau mit ihrem Kampf für Versöhnung und Vernunft auf ganzer Linie. Aus der kleinen, aber dankbaren Rolle des Pagen der Königin, Urbain, der sich hier klammheimlich über die Intrigen freut, macht Stepanka Pucalkova auch in der gekürzten Version ein Kabinettstück. Die übrigen kleineren Rollen sind ebenso handverlesen besetzt.
Bei Konwitschny enden die Hugenotten nicht mit Erschrecken des Katholiken-Anführers, als er bemerkt, dass er sein eigenes Kind ermordet hat, sondern mit einem knappen tieftraurigen Solo der Bassklarinette, das Christoph Korn über die Leichen hinweg in eine tiefschwarze Zukunft spielt, die nur vom Feuerschein des brennenden Paris erleuchtet wird. In den allgemeinen Beifall mischten sich fürs Regieteam auch einige Buhs. Warum auch immer.