Szene aus "Der Weg zurück"

Die faulen Früchte der Erkenntnis

Dennis Kelly: Der Weg zurück

Theater:Berliner Ensemble, Premiere:27.11.2021 (UA)Regie:David Bösch

Ausgerechnet der Gute-Laune-Lovesong aus den 80er-Jahren „Take on me“ der Band a-ha zieht sich durch diesen apokalyptischen Abend, die Uraufführung von Dennis Kelly „Der Weg zurück“. Zufällig, so erzählt der Mann mit einem kleinen Baby auf dem Arm im ersten Monolog dem Publikum im Berliner Ensemble, zufällig sei das Lied im Kreißsaal gelaufen, als er seine Tochter zum ersten Mal an sich drückt – während im selben Moment seine Frau verblutet. Sie stirbt an einer Nebenwirkung eines Verfahrens, das dem Paar im Laufe der unzähligen künstlichen Befruchtungen angeboten worden ist.

Dieser Monolog, in dem Gerrit Jansen den Vater als humorvollen Kumpel in Birkenstocklatschen spielt, ist gut gemachtes psychologisches Erzähltheater: Wie spricht ein Mann, der vor fünf Wochen Vater und zugleich Witwer geworden ist? Er hält sich an Kleinigkeiten fest, an der Vergangenheit, an seiner Liebe – nur beiläufig erfahren wir vom Tod seiner Frau. Ein echter Schock – beim Lesen und in David Böschs Inszenierung.

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Von hier an geht es bergab – sowohl inhaltlich als auch, was die Qualität des Stücks angeht. Die Ambivalenz des traumatisierten Witwers ist noch nachvollziehbar: „Wir benutzen Mobiltelefone, milliardenfach, seit 15 Jahren, und um wie viel ist in dieser Zeit die Zahl der Hirntumore gestiegen? Gar nicht! Also können wir uns bitte mal wieder alle beruhigen! Und keine Stunde später starre ich den Router an. Dann schalte ich die WLAN-Funktion aus. Und dann schmeiße ich alle Verursacher von Radiowellen weg. Dann reiße ich alle Stromkabel raus. Und dann bin ich allein. Im Dunkeln. Mit meiner Tochter. Und stelle fest, dass es mir vielleicht nicht so richtig gut geht.“

Holzschnittartiges Gedankenexperiment

Doch jetzt dreht „Der Weg zurück“ frei, Dennis Kellys dystopisches, arg konstruiertes Gedankenexperiment durch fünf Generationen, bis ins Jahr 2100. Der Witwer gründet die fortschrittsfeindliche Gruppe „Regression“, die genau das möchte: zurück in den Stand der Unschuld, ins Nichtwissen. Seine Tochter Dawn entwickelt die Vereinigung zur radikalen Terrorzelle, die Labore bombardiert und Wissenschaftler exekutiert. Noch eine Generation später gelten statt der zehn Gebote schon die zehn Regeln der Regression: Alles Elektronische kommt in den Müll, die medizinische Versorgung wird heruntergefahren, Kommunikation beschränkt sich auf gesprochene und handgeschriebene Sprache.

Nach einem Höllenritt durch Aberglaube und Barbarei, den David Bösch als animiertes Schattenspiel mit Monstermenschen inklusive Klauen und Reißzähnen zum Horrormärchen stilisiert, landet die Welt schließlich in der Kulturlosigkeit, in der nur Worte mit einer Silbe erlaubt sind, denn komplexe Sprache fördert komplexes Denken.

Dennis Kelly hat eine bittere Satire entworfen, die den Kulturpessimismus auf die Spitze treibt: weg mit dem bösen Internet und den schädlichen Handys? Warum nicht gleich die komplette Technik deinstallieren? Aus Protest macht Kelly Extremismus, der über Leichen geht und in die Ökodiktatur führt.

Dahinter steht die philosophische Frage, ob die Suche nach Erkenntnis eine grundgute oder grundschlechte Eigenschaft des Menschen ist. Doch Kellys episches Science-Fiction-Drama, das der „Science“ abschwört, ist dafür eine zu holzschnittartige Versuchsanordnung. Kelly ist immer dann brillant, wenn er von Menschen schreibt, die er kennt. Wie den jungen Witwer in der ersten Szene. Die Menschen der Zukunft geraten ihm dagegen zu stumpfen Thesenträgern, mit denen er zu sagen scheint: Wehret den regressiven Anfängen!

Nur: An wen ist diese nebulöse Warnung gerichtet? Im 2G-Publikum sitzen sie nicht, die Esoteriker, die sich vor jeder Spritze fürchten. Oder wettert Kelly tatsächlich gegen die Fridays-For-Future-Bewegung? Das wäre genau so wissenschaftsfeindlich, beruft sie sich doch auf errechnete Erkenntnisse. So sehr sich David Bösch in seiner dichten Inszenierung von „Der Weg zurück“ um Versinnlichung bemüht – zum Mitdenken aufgerufen fühlt man sich bei diesem kruden Ritt in die Apokalypse nicht.