Foto: "Welcome to your world" von Jan Pusch am Staatstheater Braunschweig © Andreas Etter
Text:Andreas Berger, am 9. März 2015
Mit einem starken Stück verabschiedet sich Braunschweigs Tanzdirektor Jan Pusch nach fünf Jahren vom Staatstheater. Sein Nachfolger wird im Sommer Bielefelds Tanzchef Gregor Zöllig. Pusch hatte 2010 mit „Blue“ ein Stück mitgebracht, in dem die Tänzerin sich unter den Ätherschlieren des Internets quasi aufzulösen schien. Für „Welcome to your world“ hat er sich das Spannungsfeld zwischen Körperbewusstein und dem Wunsch nach körperloser, ewiger, womöglich digitaler Existenz vorgenommen, auf die sich Internetnutzer mit ihren Avataren, also virtuellen Identitäten, und Neurowissenschaftler verstärkt hinbewegen. Aber er kommt dabei ganz ohne Bildschirmflimmern, Laptops und Smartphones aus.
Vielmehr startet er bei der Evolution des Körpers. Leben, das aus dem Wasser kommt. Die Tänzer robben wie Amphibien aus den Nebeln, entwickeln dann in sehr schöner gruppenweiser Synchronität neue Bewegungen, die sie letztlich zum aufrechtgehenden Menschen machen. Die Fortbewegung zunächst nur mit auswärts greifendem Bein auf dem Boden, das Luftpumpen mit verschränkten Armen vor der Brust, später aggressives Anspringen faszinieren gerade durch ihre ästhetische Überwindung bloßer tierischer Imitation.
Zu Bachs Geigensolo beginnt die Reflexion über die Bedingtheit menschlicher Existenz. Paare und Gruppen erstarren und werden wie Puppen auseinandergetragen. Gesten des Schmerzes und der Angst wechseln mit Figuren, die ins Nichts zerfließen. In einem grandiosen Solo zerrt Sara Angius ihren Arm in undenkbare Postionen, unzufrieden mit ihrer Beweglichkeit. Der eigene Körper wird mit Befremden betrachtet: Zu alt geworden? Bin das noch ich? Versuche, ihn abzustreifen wie ein paar Hosen.
Doch dann? Die Verheißungen des Virtuellen zeigt Pusch in einer Art barockem Karneval. Die Trikotwesen können sich mit Schulterklappen, Röckchen und Schößchen körperlich so ausstatten, wie sie gern sein würden. Sie freuen sich aneinander, helfen sich in die Positionen – das Paradies.
Doch mit welchem Bewusstsein? In Zeitlupe kommt Distanz ins Spiel, man geht nun mechanisch miteinander um. Sobald die Paare auf der Drehscheibe einander berühren, bricht die Figur auseinander, entzieht sich der Partner. Bald befinden sich nur noch Avatare auf der Bühne, Tänzer im auch kopfverhüllenden Ganzkörperdress aus schwarzweißen Pixeln. Und das ähnelt dann wieder den Amphibien aus der Evolution. Was die zweifelhafte Zukunftsperspektive seelenloser digitaler Existenz schön pointiert.
Auftritt Adam. Wenn Charles Washington nackt, wie Gott ihn schuf, auf der Drehbühne stehend den leeren Raum durchmisst, sticht das Wunder des Kreatürlichen alle Gedankenspiele nach virtueller, entkörperlichter Existenz glatt aus. Am Horizont wartet schon eine Eva, während zu den Klängen von Mozarts Requiem die anderen Tänzer in einer Art Krankenhaus-Flügelhemden auf die Drehscheibe gestellt werden, eben vergangen, schon Engel und bald wieder Schöpfung.
Mit diesem berührenden Bild feiert Pusch am Ende die Schönheit des Körpers, so vergänglich er als einzelner auch sein mag. Ein Tanzabend voller Denkanstöße, strotzend vor packenden, auch befremdenden Bewegungsideen, sinnenstark in kargem Ambiente, getacktet in klare Bilder zu starker Musik, von der Compagnie in ästhetischer Würde und Ausdruckskraft umgesetzt. Jan Pusch am Ende noch mal as its best.