Zwei Sängerinnen und zwei Sänger stehen auf der Bühne, die Annemarie Bulla als eine Art Laufsteg-Konstruktion angelegt hat, in zwei durch die Stege geteilten Hälften sitzen nur zehn Musikerinnen und Musiker, die Stimmen sind solistisch besetzt, darunter befinden sich ein Keyboard und zwei Schlagwerker. So ist die große Bühne des Nationaltheaters gut gefüllt, zumal Sergio Verdes Videos und der ausgiebige Einsatz zusätzlicher Live-Kameras für eine wahre Bilderflut sorgen. Es kommt also zu keiner Zeit das Gefühl einer Corona-Notlösung auf, einer wie auch immer gearteten Beschränkung oder Veränderung des eigentlich Geplanten.
Musikalisch klingt die Ankündigung einer „Song-Oper“ mit Anleihen beim Pop eigentlich als Drohung, tatsächlich ist Thomallas Tonspur eine äußerst elegante Mixtur aus gemäßigten Avantgarde-Klängen, minimalistisch getriebenen Strecken, Anleihen beim Brecht/ Weill’schen Moritaten-Duktus, scharf-schmissigen Passagen in der Bernstein’schen „West Side Story“-Tradition und elektronisch erzeugten, geräuschhaften Klangflächen. Thomallas Partitur ist stets auf dem Sprung in die nächste Klangwelt, zum nächsten stilistischen Kostümwechsel; und doch zieht sich durch den 90minütigen Abend als Grundbeat ein insistierend lamentierender, englischer Sprech-Gesang-Duktus, der trotzdem auch erstaunliche Puccini-Lyrismen zulässt.
In vier Teile gliedert Thomalla das Geschehen, das durch die ausgiebigen Songs, Duette und ein rasantes Quartett strukturiert wird. Die Songs sind naturgemäß retardierende Momente, da aber eine herkömmliche Handlung gar nicht Gegenstand von „Dark Spring“ ist, sondern eher die Verdichtung des zugleich zeitlosen und sehr gegenwärtigen Lebensgefühls namens Jugend ist, lässt Regisseurin Barbora Horáková Joly das Quartett ständig auf der Bühne sein, jeweils mit sich selbst (monologisierend, sich selbst filmend) beschäftigt oder mit einer anderen Person, dann aber medial vermittelt oder über die jeweils gestörte Beziehung reflektierend.
An der rückwärtigen Bühnenwand befinden sich vier schmale, hohe, zur Bühne hin offene Kästen, eine Art Waben-Behausung für jeden Einzelnen des Quartetts, dessen emotionaler Innendruck im Konflikt mit äußerer Stagnation schließlich in Destruktion umschlägt und in sexueller Gewalt und Suizid mündet.
Horáková Joly und dem Video-Künstler Sergio Verde glücken starke, schlüssige Bildwelten, die Personenregie ist dicht und hält trotz der Künstlichkeit des Settings und der dauerhaften Distanz eine hohe Binnenspannung. Auch sängerisch lässt das Quartett, das übrigens die Jugendlichkeit der Dargestellten hervorragend beglaubigt, keinen Wunsch offen: Shachar Lavis cremig-geschmeidiger Mezzo in der Rolle der Wendla gewinnt zunehmend an Glut, Anna Hybiners Mezzo ist heller und metallischer timbriert, sie formuliert prägnant und pointensicher, Magid El-Bushras butterweicher Countertenor schmiegt sich innig in die abgrundtiefe Melancholie der Rolle des Moritz, während Christopher Diffeys kerniger, höhensicherer Tenor der irrlichternden Figur des Melchior Substanz gibt.
Insgesamt ein kompakter, treffsicher komponierter und souverän inszenierter Abend, der auch musikalisch überzeugt. Und in seiner ganzen Facon sicher ein Stück der Stunde ist.