Foto: Ensemble © Krafft Angerer
Text:Martina Jacobi, am 23. März 2024
Regisseur Rafael Sanchez inszeniert am Schauspiel Köln „Die letzten Männer des Westens“ nach Tobias Ginsburgs gleichnamigem Buch und seinen Recherchen in der extremen Rechten und faschistischen Bewegungen. Was Ginsburg darin beschreibt, ist eine hochgefährliche Mischung aus Antifeminismus, Queerfeindlichkeit und Männlichkeitswahn.
Wie deutlich macht sich Rechtsextremismus in Deutschland bemerkbar? Der sei hinter einer Art Deckmantel, den ignorieren wir, „weil das gesamtgesellschaftliche Probleme sind: Antifeminismus, Queerfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit“, spricht Tobias Ginsburg von einem Bildschirm. Der Autor von „Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“ (2021), investigativer Journalist, Schriftsteller und Theaterregisseur war undercover anderthalb Jahre bei Maskulisten, neurechten Frauenhassern, Sexisten, identitären Hetzern. Herausfinden wollte er: Woher kommt dieser Hass? Und wie rekrutieren diese Gruppierungen?
Da ist ein mythischer Wald auf der Bühne des Schauspiel Köln, ein paar phallische Baumstämme (Bühne: Eva-Maria Bauer), die Szenerie für eine Art verklärende Männer-Naturdoku in Slow-Motion, das starke Wesen in seinem Kraftelement, ein Entfaltungshabitat für weißen Male Pride, ein westlicher Mann ist eben ein westlicher Mann. Die Ideologien dieser Frauenhasser seien alles andere als originell, betont Ginsburg wiederholt, dafür aber massenkompatibel und niedrigschwellig und das mache sie so gefährlich.
Male Pride Parade
Was wir in Köln auf der Bühne sehen, sind ausgewählte Szenen von Ginsburgs Recherchezug, da ist Yvon Jansen als sein alter Ego, die mal in der Undercover-Rolle, mal als Erzählfigur von außen kommentiert. Es sind schnelllebige, textreiche Szenen, ein informationsgeladener Dokumentarpfad, der temporeich sehr gut funktioniert und ineinander greift. Die Bühne ist nie überladen, stellt jeweils einzelne Elemente ins Zentrum. Die Erzählungen beginnen in den Tiefen des Internets, führen zu Burschenschaften, zum Shit-Test (Frauen testen, ob Männer ihre Versprechen auch einhalten) und in die Red Pill-Bewegung (die rote Pille nehmen, um endlich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Männerunterdrückung aufzuwachen) – „it’s great to be straight“ hallt es chorisch durch den Raum auf einer Male Pride Parade in Boston und da ist auch GamerGate und Steve Bannon, ehemaliger Berater von Donald Trump und Leiter der rechtsextremen Website Breitbart.
Ensemble © Krafft Angerer
Ein Vogelmann (Andreas Grötzinger), eine des von Adolf Hitler protegierten Bildhauers Arno Breker entworfene Figur, erwacht zum Leben und wird zum Dialogpartner von Ginsburgs alter Ego. Da ist „Prototyp“, Rapper und Archetyp neurechter Männlichkeit, der mit Stretchlimousine in das Depot 2 des Kölner Schauspiel gerollt kommt. Heraus springen die Schauspieler:innen in „Pepe the Frog“-Kostümen (Kostüme: Ursula Leuenberger), dem Markenzeichen der Alt-Right-Bewegung (Alternative Rechte). Und schließlich geht es nach Polen zu Ordo Iuris, dem Institut für Rechtskultur, maßgeblich an den letzten polnischen Gesetzesänderungen wie dem Abtreibungsverbot beteiligt. Momente von Figuren wie Andre (Yuri Englert) bleiben hängen, der auf Identitätssuche nach rechts abdriftet, mantraartig platte Parolen wiederholt – „wieder stabile Werte vermitteln“ –, seine kalte Brutalität, mit der er andere blutig geschlagen hat: „Da denkst du nicht nach. Da schlägst du zu!“
Gefährliche Realität
Wie entsteht ein solches Denken? Woher kommt dieser Hass? Wer empfindet ihn und warum? Sie alle treten in einer Reihe auf – die letzten Männer des Westens (Ensemble: Nikolaus Benda, Yuri Englert, Andreas Grötzinger, Nicola Gründel, Benjamin Heppner, Yvon Jansen, Bei Muramoto, Birgit Walter) – ein Uni-Dozent, ein Geologe, ein Student, ein Anwalt, ein Politiker, und der schweigende Mittelständler. Da erklingen Mozart und Beethoven neben harmonisch vereint gesungenem „The Wellerman“ und „Die Wacht am Rhein“ – Frauen- und queerfeindliches Gedankengut ist breit gestreut, ist überall, und Wegbereiter zu rechtsextremen Kreisen. Klarinettist Cornelius Borgolte spielt live, ein Flügel wird zur Begleitung (Nicola Gründel) auf die Waldlichtung gerollt – eine verquere Stimmung.
Das alles soll keinen Hass gegen Männer im Gegenzug erwirken, das sind keine Klischees, über die wir nur lachen sollen; worüber wir an diesem Abend lachen, ist die Absurdität. Die Bilder, die Rafael Sanchez für Ginsburgs Grundlagentext findet, sind überdreht und -spitzt, ziehen aber nicht ins Lächerliche, sondern geben nachhaltig zu denken. Die Inszenierung erweitert den Bühnenraum auf den Vorplatz des Kölner Schauspiel, wo wir das Geschehen live aufgenommen auf den Bildschirm im Saal übertragen bekommen. Warum so einen Stoff auf der Bühne zeigen? Dieser schwere Inhalt funktioniert durch das sinnliche Erzählen, macht ihn mit bleibendem Eindruck erfahrbarer.
Die Erlebnisse, wie sie uns Ginsburg aus seinen Recherchen wiedergibt, stellen eine gefährliche Realität dar. Es ist banal alltäglich und ernst zu nehmen. Die dringliche Botschaft, die der Autor am Ende ans Publikum richtet, lautet: Die eigentliche Gefahr ist Zuversicht. Es gibt nicht hier die Guten, da die Bösen – „es kokelt in Deutschland durchgängig seit ‘45. Manche riechen nur den Rauch nicht. Es geht um Gedanken, um Ideen. Und die breiten sich aus, nicht da draußen, sondern hier drinnen. In uns. Also nein, seid nicht zuversichtlich. Das können wir uns nicht leisten. Seid wütend.“