Foto: Die Tänzerinnen und Tänzer des neu formierten "Dance Theatre Heidelberg" © Alwin Poiana
Text:Ulrike Kolter, am 12. Dezember 2018
Was zeichnet sie aus, die Generation der „Millennials“ oder auch „Generation Y“ – also jene, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden? Jene, für die in den letzten 20 bis 30 Jahren die exorbitant schnelle technische Entwicklung den Lebensalltag prägte? Diese Frage stellt sich Iván Pérez (Jahrgang 1983) in „Impression“ – der ersten großen Tanz-Uraufführung an seiner neuen Wirkungsstätte Heidelberg, wo der Choreograph seit dieser Spielzeit künstlerischer Leiter des Dance Theatre Heidelberg ist. Bereits Anfang der Spielzeit ließ seine elf-köpfige, neu formierte Truppe bei der ortsspezifischen Performance „The Inhabitants“ im Heidelberger Industriepark ahnen, welch ausdrucksstarke Persönlichkeiten hier versammelt sind. Nun konnten sie auf großer Bühne unter Begleitung des Philharmonischen Orchesters Heidelberg zeigen, wie beachtlich die (auch körperlich) sehr unterschiedlichen Tänzertypen nach wenigen Monaten schon als Ensemble harmonieren.
„Impression“ ist ein Auftragswerk an den katalanischen Komponisten Ferran Cruixent, der hier in enger Zusammenarbeit mit Pérez seine Kompositionsstruktur einem Credo der Millennials unterwirft: Die Reihenfolge der 12 Sätze ist flexibel dem Choreographen überlassen, gemeinschaftliches Kreieren also statt eines starren, hoheitlichen Kunstanspruchs. Der Orchesterklang unter dem Dirigat von Dietger Holm schwappt einem pompös entgegen, kraftvoll mal mit Pauken und den immer wiederkehrenden, dunklen Ostinatos der Posaunen, sacht und sanft dann wieder mit Harfenklang und filigranen Streicherarpeggios. Dieser mannigfache Rausch zwischen „Star Wars“ und Strawinsky bietet Pérez eine energetische Klangkulisse für sein Choreographie.
Zunächst mal: Wie so oft im Tanz braucht es den intellektuellen Überbau nicht zwingend, zumal Perez nie plakativ bildhaft wird. Zahlreiche Solo- und Ensembleszenen (alle barfuß) sind so assoziationsreich und ausdrucksstark umgesetzt, dass Themen von sozialer Isolation, Verbundenheit, humoristisch-tänzelndem Sich-Ausprobieren oder das Spielen mit Geschlechterstereotypen in der Paarbildung auch autark und fern eines digitalen Panoptikums funktionieren. Vieles oszilliert zwischen der Suche nach Nähe und schlichter Gemeinschaft einerseits und der Verzweiflung am eigenen Selbst in all seinen Facetten andererseits. Hier noch sitzt eine Achterkette von Tänzerinnen und Tänzern am Boden, reicht sich amüsiert die Hände in immer wieder neuen Verschränkungen (Pina Bausch lässt grüßen), wälzt sich bald schon das Ensemble in kraftvollen, elastischen Drehungen über den Boden, jeder für sich allein.
Trotzdem findet der junge, international bereits erfolgreich etablierte Spanier auch bestechende Bilder, um Assoziationen zur Technik-Generation im artifiziellen Bühnenbild vom Londoner Kollektiv United Visual Artists in Szene zu setzen, das aus drei herabhängenden, Tablet-ähnlichen und seitlich beleuchteten Quadern besteht, die drehbar eingesetzt werden, um Räume zu begrenzen oder blitzschnell aufzulösen. Später dienen diese Hänger als Projektionsfläche für die grünen Punkte von Laserpointern, mit welchen alle Tänzer ausgestattet sind und – liegend, zuckend, drehend, laufend – damit diverse Gruppendynamiken durchexerzieren. Wer (welcher Punkt) rennt hier wem hinterher, ist Anführer oder abgehängt?
In einer der stärksten Szenen des Abends gehen alle Company-Mitglieder nebeneinander auf einem Catwalk die Bühne ab, jeder auf seiner Linie vor und zurück, jeder mit ganz individuellen Bewegungsrepetitionen. Eine junge Frau, die mittig läuft und verzweifelt dem Publikum immer wieder die Hand entgegenstreckt, vor und zurück, schüchtern, sich windet, neu losläuft, und doch innerlich wieder zusammenfällt, ihr Flehen lässt einen nicht mehr los. Vielleicht ist die Generation der „Millennials“ genauso hilflos, wie es alle zuvor schon waren.