Foto: Marco Matthes, Friedrich Rößiger, Juschka Spitzer, Barbara Heynen und Bernd Stempel in "Oder Bruch" am DT Berlin. © Arno Declair
Text:Barbara Behrendt, am 9. Februar 2012
Tobias Rausch ist ein Experte für Recherche-Stücke: In „Alles Offen“ befragte er Zeitzeugen der Wende, für „einsatz spuren“ sprach er mit Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren. Sein jüngstes Projekt „Oder Bruch“ hat nun das schlimmste Oderhochwasser seit Menschengedenken zum Thema. 30.000 Soldaten setzte die Bundeswehr 1997 für ihren größten Katastropheneinsatz ein, 114 Menschen starben damals, die Bevölkerung spendete gigantische 50 Millionen Euro für die Flutopfer.
Hundert Interviews haben Rausch und sein Team nun 15 Jahre später geführt, mit Evakuierten, Helfern, Ministerpräsidenten, Spendenkommissaren und Soldaten. Dokumentation der Zeitgeschichte also zum traurigen Jubiläum? Zum Glück mehr als das.
Quer über die Bühne verläuft ein Deich, überzogen mit einer beige-grünen Blümchentapete, wie man sie aus unsanierten DDR-Häusern kennt. Darüber türmt sich eine Monsterwelle – oder rollt sich nur ein Stück Tapete ab? Mit einfachen ästhetischen Mitteln arbeitet Rausch und mischt auf der Bühne sinnvoll die Metaphern: Droht der Deichbruch, stemmen die Schauspieler des Deutschen Theaters und der koproduzierenden Neuen Bühne Senftenberg in weißer Helferuniform Löcher aus dem Holzkonstrukt – kommen die Häuser ins Spiel, kann durch einen Handgriff ein Fenster mit Gardine eingelassen werden, schon entsteht ein Wohnzimmer.
In 14 Sequenzen illustrieren die Schauspieler unterschiedlichste Blickwinkel. Da ist der Teenager, der im überschwemmten Haus nur um sein Visum für die USA bangt. Da ist der Rentner, glücklich, endlich eine Aufgabe als Deichläufer zu finden. Später wird es bewegender, wenn Barbara Heynen als alte Frau sich bei der Evakuierung durch das Militär an 1945 erinnert fühlt, als sie über die Oder fliehen musste. 1997 wurden die Menschen im Oderbruch, einem Gebiet, das unterhalb des Flussspiegels liegt, teils mit Gewalt aus ihren Häusern geholt – „das war keine Evakuierung, das war eine Vertreibung.“ Rausch lässt den Abend nicht in Pathos abgleiten: Auf eine nachdenkliche Szene folgt meist eine Art Schildbürgerstreich. So zumindest könnte man es nennen, wenn Marco Matthes, komödiantisch bestens aufgelegt, mit Berliner Schnauze das Organisationschaos beim THW zu erforschen versucht. Und Bernd Stempel erzählt als Hausverlierer mit erfrischendem Galgenhumor, wie er im Wohnzimmer den Goldfisch aus Nachbars Teich vorbeischwimmen sah.
Manchmal droht die Aufführung sich im Anekdotischen zu verlieren. Letztlich jedoch behält Rausch die großen Themen im Auge, die das Stück über eine Geschichtsstunde hinausheben: Es geht um Heimatverlust, Solidarität, Profitgier und Existenzangst. Um den Kampf gegen die Natur, um menschliche Ohnmacht. „Das Wasser hat ein älteres Gedächtnis als wir“, sagt Barbara Schnitzler, „als ob es sich erinnern würde, sucht es immer wieder sein altes Bett.“ Und das steht, allen Begradigungsversuchen vergangener Jahrhunderte zum Trotz, dort, wo die Menschen des Oderbruchs wohnen und leben. Das Wasser wird wieder kommen.
(Die Produktion ist eine Kooperation des Deutschen Theaters Berlin mit der Neuen Bühne Senftenberg)