Foto: Der schwarze Garten vom Hans Henning Paar am Theater Münster © Oliver Berg
Text:Marieluise Jeitschko, am 28. Oktober 2013
Düster sind die Traumbilder, die Hans Henning Paar nach dem Gedicht des Spaniers Manuel Machado „Der schwarze Garten“ auf die Bühne des Theater Münster bringt – alptraumartig manche, voller Poesie und Sinnlichkeit andere. 13 Miniaturen mit mehr oder weniger verständlichen Geschichten reihen sich in der „Dreambox“ von Ausstatterin Isabel Kork zu dem 80-minütigen Nachtstück, inspiriert von Traumerinnerungen der Tänzer.
Leise flüstert eine Stimme Gedichtfetzen – vom unermesslichen Schweigen der Nacht, wenn der Klang entschlafen und die Farbe verstorben ist, wie der Mond und die Statue sich lechzend küssen… Im „Entrée“ auf eine Klaviersonate des tschechischen Komponisten Luboš Fišer (aus dem Lautsprecher) tasten sich die Tänzerinnen und Tänzer zwischen den Zuschauertribünen hindurch in den Garten, der im diffusen Halbdunkel liegt: haushohe schwarze Blüten, Blätter und Gräser auf gebogenen Stengeln schimmern durch den Gazevorhang. Schwarz gekleidet sind auch alle nächtlichen Besucher: in Abendgarderobe oder Glitzer- und Rüschenfummel, als kämen sie von einer Party, die einen – im streng neutralen Hosenanzug andere. Eine Ballerina im steif abstehenden Tellertutu (Ako Nakanome) tanzt anmutig den kleinen Walzer inmitten scheinbar aufgezogener Tanzpuppen. Später wird nochmals ein Stück der bizarr dissonanten Musik des Tschechen zu hören sein, wenn „Der Nachtmahr“ (Cornelius Mickel mit verkrampfter Egon-Schiele-Gestik) sich auf sein zartes Opfer (Sandra Guénin) stürzt und es tötet, während eine verhüllte Hexe (Maria Bayarri Pérez) das Paar umschleicht.
An der Rampe entlang schreitet schon während der ersten Szene langsam die schöne Pianistin Elda Laro zum Konzertflügel, um Rachmaninow-Barkarolen, -Fantasien, -Elegien, -Tänze und -Präludien mit großem Effekt aus den Tasten perlen zu lassen. Romantik pur für die Ohren, ein buntes Kaleidoskop von Bewegungsbildern für die Augen. Gestalten geistern und spuken durch den Raum. Dann wieder formulieren Körper erotische oder sehnsuchtsvolle Fantasien. Die immer wieder als besonders ausdrucksvoll und geschmeidig auffallenden Tänzer Tommaso Balbo und Marcelo Moraes huschen als „Nachtfalter“ durch den Garten. Sandra Guénin mimt dazwischen eine mysteriöse Fee, die wenig später aus einem Fenster hoch über der Spielfläche eine kafkaeske Szene beobachtet: ein Rieseninsekt (Cornelius Mickel) schleicht sich heran. Halb Gottesanbeterin, halb Spinne, bemächtigt das schwarze Ungeheuer sich der arglosen Kreaturen und bohrt den tödlichen Stachel in ihre Leiber. In einen finsteren Buckeligen mit hohem Zylinder und Krückstock verwandelt, trollt sich der Mörder.
Drei ungleiche Paare tanzen ahnungslos einen Totentanz in „Berührungen“. Maria Bayarri Pérez durchlebt „Fliegen und Fallen“ mit akrobatischer Verve. Ein echter Alptraum dagegen ist Adam Dembczynskis Solo „Ich komme nicht an“. Immer wieder rennt er nach vorn, streckt die Hände dem vermeintlichen Retter entgegen, wird aber wieder und wieder zurück gezogen in die Finsternis hinter den Nebelschwaden. „Würmer“ winden sich (Kana Mabuchi, Tommaso Balbo). „Herr und Frau Tod“ (Vladimir de Freitas Rosa, Ako Nakanome) in grauen Sweatshirts wagen ungerührt ein Tänzchen hinter hohläugigen Masken. Nackt bespiegelt seinen schönen, muskulösen Körper der „Narziss“ (brillant: Marcelo Moraes). Mit „Schreck“ und „Chaos“ als eindrückliche Ensembleszenen endet die Nacht. Wie gelähmt, mit weit aufgerissenen Augen und lautlosem Schrei in der Kehle erwacht der Mensch…