Foto: Die zweieinhalb Leben des Henrich Walter Nichts © Rolf Arnold
Text:Michael Chlebusch, am 28. November 2014
Da steht er: Ulrich Brandhoff als Heinrich die Nase, der Boxer. Im Schlaglicht, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, die Hände zur Deckung erhoben. Hinter ihm glitzert flächig ein Vorhang – eine verheißungsvolle Welt. Nur sein Herzschlag ist zu hören. Und mit einem Gong legt er los. Wie eine Geburt, ein Eintritt ins Leben, Schlag auf Schlag und immer ein Kampf. Dieses Prinzip soll sich auch im Fortgang durch „Die Zweieinhalb Leben des Heinrich Walter Nichts“ ziehen. Das Leipziger Schauspiel brachte die Uraufführung aus der Feder von Lukas Linder unter dem Zusatz „Ein Märchen“ auf die Bühne. Und wie so oft verfährt dieses Märchen härter mit seinen Protagonisten, als die Realität es ihnen zumuten dürfte.
Denn im Kampf steht auch schon der kleine Walter als er mit Nachnamen noch Frank hieß (durchweg überzeugend: Schauspielstudent Brian Völkner). Der schmächtige Junge wird von zweien verprügelt die sich mit Clownsköpfen auf ihn stürzen. Der Vater (Tilo Krügel) tritt hinzu, droht, verhandelt und wird kurzerhand auch niedergestreckt. Moralisch, sagt er, waren er und sein Sohn Sieger, denn Hände seien nicht dazu da geballt, sondern in den Hosentaschen versorgt zu werden. Nur so kann es in der Welt friedlich zugehen. Aber Walter will mehr, als sich als Schwächling hinter Moral zu verstecken, das verrät seine zuckende Nase. Dass er es aber auch als Boxer nicht weit bringen und die beste Null der Welt sein wird, wie sein Promoter (prima nonchalant Markus Lerch) später sagt, erzählt das Stück in chronologisch vor- und zurückschwingenden Handlungsausrissen. Diese Ereignisse im Leben des jungen Walter und des erwachsenen Heinrich montiert Regisseurin Alexandra Wilke zu wunderbar verwobenen Bildern, die mal minimalistisch, mal surreal, mal verspielt, stets aber flüssig und mit perfektem Timing verwoben wurden. Nebenfiguren tragen dabei große künstliche Köpfe, treten aus dem Dunkel am Ende des Zuschauerraums, führen scherenschnittartige Schattenspiele auf oder schlüpfen aus einer der vielen drehbaren Türen im einfallsreichen und stilsicheren Bühnenbild von Thomas Weinhold.
Immer wieder gibt es Licht zwischen vielen Schatten, auf der Bühne wie im Leben des Heinrich Walter. Der Zauberer Zacharias – mit seinen schreiend komisch schlechten Tricks – war Hoffnung seiner Kindheit. Die mysteriöse Dora Diamant (trefflich entrückt Daniela Keckeis), die in das Hotelzimmer des Boxers stolpert, wird zur Hoffnung des Erwachsenen. Doch so wie der Versuch die zersägte Jungfrau nachzueifern zur Verletzung der kleinen Margrit führt, führt der Versuch eine Beziehung zu Dora aufzubauen zur Vernichtung des Boxers. Keinen Kampf kann er in diesen beiden Leben gewinnen und startet einfach ein Neues. „Am Ende ist man halt der, der man geworden ist“, sagt Heinrich Walter Nichts gar nicht mehr so märchenhaft. Das gilt für das Stück wie für das Leben. Denn es gibt keinen großen Stoff, keine tiefe Moral dahinter. Nur dieses wehmütige Gefühl, dass es irgendwie wichtig war, dabei gewesen zu sein.