Foto: Szene aus der "Elias"-Inszenierung von Jens-Daniel Herzog am Theater Dortmund. © Bettina Stoess
Text:Andreas Falentin, am 27. März 2012
Oratorien auf der Opernbühne sind längst nichts Ungewöhnliches mehr. Mit Bachs Passionen werden immer wieder Versuche gemacht, „Saul“ oder „Theodora“ von Händel sind in den letzten Jahren gar Teil des erweiterten Kanons geworden. Bei Mendelssohns Chorwerken liegen die Dinge anders. Zu undramatisch schön scheint diese Musik daher zu kommen, fast völlig ohne jede Steigerung oder gar Zuspitzung. Jens-Daniel Herzog, Dortmunds neuer Operndirektor, hat es trotzdem versucht.
Sein „Elias“ spielt in der Gegenwart. Mathis Neidhardt hat ein riesiges Vorzimmer zur Macht entworfen, ein Einheitsbühnenbild als technische Wundertüte. Das Volk wütet gegen die Mächtigen, die das Land rücksichtslos modernisieren. Mendelssohns Engel sind bei Herzog eine gewaltbereite Separatistenorganisation irgendwo zwischen Heilsarmee und Taliban. Unter dem Deckmantel der Bewahrung einer nationalen Identität als chauvinistische Abgrenzung gegen alles und jeden versuchen sie das Volk auf ihre Seite zu ziehen, in Wettbewerb mit dem Herrscherpaar. Auf mehreren Ebenen und mit unzähligen Details aktualisiert und profanisiert Herzog das alttestamentarische Geschehen, ohne Angst vor dem Plakativen. Da erscheint einiges überflüssig, weniges wie das Domina-Outfit der Königin auch ärgerlich, vieles aber überraschend schlüssig. So entlarvt Herzog die pathetisch überhöhte Naturmetaphorik des Textes als überzeitlichen Diktaturenjargon und zeigt plastisch die Macht und Funktionalisierung der Medien.
Durch den Vorzeigecharakter der Inszenierung wird das Geschehen zur Parabel, aus der nur die Titelfigur herausfällt. Christian Sist, ein Baum von einem Mann, formt mit balsamischer, legatosicherer und unter Druck leicht spröder Bassstimme einen faszinierenden Charakter. Sein Elias ist ein charismatischer Eigenbrötler, ein Politprofi als rhetorisch brillanter Sozialkrüppel. Je mehr er sich engagiert, desto mehr leidet er darunter, dass er nicht dazugehört. Dann zieht er seine Strickjacke an, nimmt sich ein Bier, setzt sich vor seinen alten Röhrenfernseher und zappt durch die Newskanäle. Oder er wirft sich gleich frustriert ins Krankenbett. Das Ende, Elias‘ Entrückung, inszeniert Herzog als Aufwachen. Der Held erkennt seine eigene Funktionalisierung und flieht in den Zuschauerraum. Das Kind, dessen Leben er einst gerettet hat, wird flugs zum Nachfolger aufgebaut.
Motonori Kobayashi formt die gewaltige Klangskulptur des Schlusschors mit dem gleichen gelassenen Selbstverständnis wie die gesamte Aufführung. Die Dortmunder Philharmoniker spielen einen farbigen, wunderschön ausgewogenen Mendelssohn. Der erweiterte Chor begeistert, als zweiter Hauptdarsteller, durch Homogenität und Leidenschaft. Die Solistenriege singt – wie bereits die ganze Spielzeit – ohne Ausfall auf sehr hohem Niveau. Berührend Julia Amos als Mutter des Kindes mit klarem, sinnlichem Sopran. Umwerfend Katharina Peetz mit herrlich auf Linie gesungenem Mezzo als vom Dienst an der Sache innerlich ausgehöhlter „Ober-Engel“.