Johanna Dähler spielt die Lehrerin wunderbar humoristisch überzeichnet als graue Perückenschurkin, die an Fräulein Knüppelkuh aus „Matilda“ oder auch an Nicole Kidmans fiese Tierpräparatorin aus „Paddington“ erinnert. „Strammgestanden!“, herrscht sie die beiden Mädchen im Klassenzimmer an, um sie dann in einem Verhör, das in seiner Unerbittlichkeit Tatort-Kommissare vor Neid erblassen lässt, über den Verbleib ihres geliebten Meerschweinchens zu befragen, während sie ihnen ein laminiertes Foto desselben vor die Nasen hält.
Ally und Manisha erkennen sich schließlich als Leidensgenossinnen und freunden sich widerstrebend an. Beide haben ihre Väter an tiefe Gewässer verloren. Beide grenzen sich in der Folge ab. Manishas Schwester versucht, sie zu überreden, sich doch mal zu schminken („bisschen billiger Concealer reicht schon!“), mit zur Party zu kommen. Als die mit Horrorfilm-Zitaten abblockt, wirft sie ihr an den Kopf: „Du bist krank. Jemand sollte ‘ne Studie über dich machen. Ne fucking wissenschaftliche Studie!“ Allys Mutter versucht indessen verzweifelt, die Verbindung zu ihrer Tochter zurückzugewinnen und weint: „Warum kannst du nicht mit mir reden? Ich weiß doch auch nicht mehr weiter!“ Die drei coolen Girls aus der Klasse mobben die beiden: „Die Psychos sollte man von der Schule droppen“ – „Exactly!“ Und die zwei hauen ab. In den dunklen Wald. Die wummernden Soundeffekte von Musiker Balthasar Wörner erzeugen eine bedrohliche Stimmung, als Ally und Manisha in der Mitte des geheimnisvollen Waldsees eine Gestalt entdecken. Ally glaubt ihren ertrunkenen Vater zu erkennen. Der war Professor für Wahrscheinlichkeitslehre. „Das heißt, dass nichts zu 100 Prozent wahr ist und nichts zu 100 Prozent falsch“, erklärt sie Manisha. Vielleicht ist Papa dann gar nicht tot, und vielleicht gibt es die Schule nur in unserer Vorstellung, mutmaßen die beiden hoffnungsvoll.
Dabei blicken sie in die spiegelnde Oberfläche des geheimnisvollen Sees. Das funktioniert dank des Bühnenbilds, das simpel und faszinierend zugleich ist: Die säulenartig einzeln aufgestellten Schließschränke können Kinderzimmer, Bücherregal, oder Wohnung sein, und dienen den Charakteren als Rückzugsorte. Durch auf sie projizierte Äste wird das Schließschrank-Labyrinth schnell zum Wald. Der spiegelnde Boden verwandelt sich zur Wasseroberfläche des Sees. Rasante Szenenwechsel und kluge Kameraeinstellungen sorgen darüber hinaus für Spannung und machen den Stream zu einem gelungenen Theaterfilm.
Mit „Schimmerndes Wasser“ ist dem Produktionsteam eine skurrile Horrorgeschichte gelungen, die menschliche Abgründe aufzeigt, und dabei noch Spaß macht. Mit den beiden Hauptcharakteren zu sympathisieren fällt trotz deren morbider Hobbies leicht, dank des sympathischen und überzeugenden Spiels von Nadja Rui und Magdalena Wabitsch. Nach etwas mehr als 60 Minuten bleibt am offenen Ende des Stücks jedoch das Gefühl zurück, dass die Geschichte nicht zu Ende erzählt, sondern willkürlich abgebrochen ist. Als das ganze Team sich schließlich gegenseitig Applaus spendet und sich mit FFP2-Masken vor der Kamera verbeugt, wirkt das wie eine weitere Szene des Stücks, auch wegen der dazu ertönenden düsteren Gruselmusik. So lässt der Theaterfilm viele Fragen zurück – und den beunruhigenden Eindruck, in einem Zwischenuniversum zwischen Realität und Fiktion verblieben zu sein.