Foto: Ensembleszene © Jochen Klenk
Text:Eckehard Uhlig, am 21. November 2016
Klassischer geht’s nicht. Der Inbegriff des romantischen Märchenballetts, für das ihre ersten Choreographen Taglioni und Bournonville in den Dreißigern des 19.Jahrhunderts den ätherisch schwebenden Spitzentanz, die Handlungsteilung in einen bunten und einen weißen Akt sowie das wadenlange Tüll-Tutu kreiert hatten, erlebte nun auch am Staatstheater in Karlsruhe seine Premiere: „La Sylphide“, das Ballett, das zur Musik Herman Lovenskjolds in der behutsam erneuerten Fassung von Peter Schaufuss im Repertoire fast aller klassischen Tanzcompagnien zu finden ist. Für Karlsruhe kommt hinzu: Birgit Keil, die Ballettdirektorin in der badischen Residenzstadt, hat bei der deutschen Erstaufführung der Schaufuss-Produktion in Stuttgart mit glänzendem Erfolg die Titelrolle getanzt.
Der glänzende Erfolg stellte sich auch in Karlsruhe ein. Die Legende vom schottischen Bauernjungen James (Zhi Le Xu), der einem geträumten Glück, der zauberhaften Luftgeist-Sylphide (Harriet Mills) hinterherjagt und ihr verfällt, dabei aber sein wahres Glück, das liebreizende Mädchen Effie (Blythe Newman) an seinen Rivalen Gurn (Flavio Salamanka) verliert, ist schon an sich von märchenhaft poetischer Gestalt, zumal auch die Hexe Madge (Admill Kuyler) mit bösen Zaubertränken ihr Unwesen treibt und Sylphides Tod beschwört.
Im schottischen Landhaus des ersten Akts, dessen Interieur David Walker reich ausgestattet und ziemlich düster auf die Karlsruher Bühne gebracht hat, ereignen sich bei Hochzeitsvorbereitungen phantastische Merkwürdigkeiten und festliche Höhepunkte: Da steigt Sylphide, die eben noch hinreißend zart den träumenden James umtanzt und sich in seinem Großvatersessel unter einem Tuch versteckt, durch den großen Kaminschornstein in die Lüfte. Madge zelebriert mit krumm gebeugtem Körper ihren unnachahmlich schaukelnden und hinkenden, von einem Stock gestützten Hexen-Walk. Und dann der „Reel“, der großartig auf der Bühne ausgebreitete schottische Volkstanz mit allen Solisten und dem gesamten Ensemble. Männergruppen in jagdlichen Kilts und ländlich bunt gekleidete Mädchen wogen hin und her, bilden faszinierende Reigen und eine kaleidoskopartige Vielfalt von Tanzformationen aus – getoppt von Darbietungen mehrerer Kinderpaare und einer großartig tanzenden kleinen Solistin (der Karlsruher Ballettschule Lagunille&Reijerink): Da bricht im Publikum grenzenloser Jubel aus.
Im zweiten (weißen) Akt schlägt (nicht nur im Sinne der tragischen Handlung) die Stunde der Solisten. Admill Kuyler wächst im wilden pantomischen Tanzspiel am Hexenkessel über sich hinaus. Harriet Mills und ihre Sylphiden-Freundinnen sind in ihren zartgrünen Kleidchen eine Elfen-Schar, deren schwerelos fein ziselierte Tanzfigurationen nicht mehr von dieser Welt zu sein scheinen. Und Zhi Le Xus James ist in seiner solistischen Präsentation an geschmeidiger Eleganz und mit seinen geradezu widerstandslos vorgetragenen Schwebesprüngen kaum noch zu übertreffen.
Freilich, was da in Karlsruhe mit dieser preisgekrönten, von der Badischen Staatskapelle mit Steven Moore am Dirigentenpult musikalisch kongenial untermalten Choreographie gezeigt wird, ist auch musealer Abglanz einer historisch gewordenen Ära des Balletts.