Im hinteren Teil der Bühne (Nina Peller) erhebt sich eine Statue, die an Giambolognas Skulptur „Raub der Sabinerinnen“ erinnert: Brutus hebt einen Caesar mit schmerzverzerrtem Gesicht und einem Dolch in der Brust hoch. Am Boden kauert Cassius den Blick nach oben gerichtet. Im Vordergrund steigt Sachiko Hara in einem goldenen Rüschenkleid eine Rampe herauf. Ihre Haare sind nach oben zu einem Zopf gebunden und ihr Gesicht mit einer roten Maske bemalt. In ihre Siegesansprache an das römische Volk mischt sich immer wieder Japanisch. Jedem ihrer Sätze ist anzuhören, dass Deutsch nicht Sachiko Haras Muttersprache ist. Sie kämpft regelrecht mit den Konsonanten, was ihrer Darstellung eine faszinierende Intensität verleiht. Sie reißt die Augen auf, verzieht ihr Gesicht zu einer Grimmasse, wenn sie spricht. Dieser Caesar ist die groteske Überzeichnung eines Diktators. Das wirkt fast komisch, doch Hara und Pucher geben den Herrscher nicht der Lächerlichkeit preis, sondern nehmen ihn in seiner Wahnhaftigkeit ernst. Dabei ist es nicht der Wunsch nach Macht, sondern die Macht selbst, die diesen Herrscher zu erdrücken scheint.
Ideenlose Verschwörer
Stefan Pucher will in seiner Inszenierung die verschiedenen Spielarten von Politik zeigen und, wie ein Wechsel zwischen ihnen funktionieren kann. So beobachtet das Publikum, wie Cassius mit Intrigen seine Anschlagspläne antreibt. Sandra Gerling legt ihn als einen dynamischen und ehrgeizigen Jungpolitiker an, der zwar Moralvorstellungen hat, aber alles für die eigenen Ziele tun würde. So bearbeitet Cassius auch Brutus, der hier ein erfahrener Politiker ist, der fast schon dem Klischee des römischen Senators entspricht. Kostümbildnerin Annabelle Witt hat Josef Ostendorf in eine Toga in Rot und Violett gekleidet. Behäbig betritt der Schauspieler die Bühne und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Er wirft seinen Text hin, als hätte Brutus die Sätze so oft wiederholt, dass sie keine Kraft mehr haben. Das wirkt mal gravitätisch, mal hölzern. Der etwas schmierige Mitläufer Cinna (Samuel Weiss) und der simpel gestrickte Idealist Decius Brutus vervollständigen das Komplott.
Sie diskutieren lange, ob und wie die Tat vollbracht werden soll. Ein Markenzeichen für die Demokratie, aber auch ein Zeichen für die Schwierigkeiten des Unterfangens. Schließlich erstechen sie Caesar und stehen plötzlich planlos vor der Leiche. Die Attentäter hatten zwar ein Ziel vor Augen, aber keine Vision, die darüber hinausgeht. Also lassen sie Caesars Protegé Marcus Antonius die Trauerrede halten (unheimlich authentisch: Bettina Stucky), mit der er die Menschenmenge à la Trump richtig anheizt. Am Ende steht da eine Plebejer mit goldenem Brustharnisch auf der Bühne, ruft nach Rache, nach starker Führung und letztlich nach Krieg. So schließt Pucher den Kreis zum Anfang.
Hat der Anschlag auf den mutmaßlichen Feind der Demokratie die Demokratie erst beendet? Muss Cassius mit Intrigen arbeiten, um in der Politik etwas verändern zu können? Und wirken die Ansprachen von Brutus so blutleer, weil sie in der vermeintlichen Sicherheit der Demokratie zu Phrasen verkommen sind? Dieser „Caesar“ wirft viele Fragen auf. Leider hat der Abend des Shakespeare-Experten Stefan Pucher dennoch Längen – vielleicht auch, weil er sich nicht entscheiden kann, ob er schlicht das Drama zeigen will oder schon Kommentar sein möchte. Zwar lässt sich wunderbar darüber nachdenken, welche Figur für welchen Politiker (es sind doch meistens Männer) steht, doch es bringt einen nicht weiter mit der Frage, wie wie mit der Politik umgehen sollten. Gerade in Zeiten, in denen sich die Politik des Krieges wieder als letzte Instanz durchgesetzt hat, ist das bedauerlich.
„Caesar“ ist eine Koproduktion des Lausitz-Festivals und des Deutschen Schauspielhauses Hamburg. Die Premiere war am 25. August 2022 in der Danner-Halle in Weißwasser.