Colins Freund Chick (Daniel Kluge) wird seine obsessive Vorliebe für Patre–Bücher zum Verhängnis. Erst vernachlässigt er dafür seine Freundin Alise (Sophie Marilley), dann wird er von einer Schutztruppe, die „nur“ wegen einer Steuerprüfung bei ihm eindringt, tot geprügelt. Als seine Freundin Alise dann in einem Rachfeldzug alle Buchläden abfackelt, geht sie dabei selbst mit in Flammen auf. Am Ende überlebt nur Colin, wobei das bei seinem Zustand stark übertrieben ist.
Die emotionale Tonlage, der sich souverän und ohne dogmatische Einschränkung zwischen Kammermusik und Musicalsound, Chanson und Jazz, leichfüßigem Parlandoton und düsterem Orchesterraunen bewegt, ist da längst auf einer atemberaubenden Achterbahn auf den Abgrund zugefahren. Sie hat dabei Kirchengesänge aufgeboten, während ein Jesus seine Hände in Unschuld wäscht und seine Wundmale doch nicht wegbekommt. Das Orchester hat mit wuchtigen Tuttischlägen an die Pforten der Hölle gedonnert und dann doch wieder zarte, poetische Trauertöne angeschlagen. Denisovs Musik ist ein geradezu exemplarisches Beispiel dafür, wie ein Schostakowitsch-Erbe eigene Wege eingeschlagen hat. Auch in Richtung der westlichen Moderne, deren Dogmen sie sich ebenso souverän verweigert wie den kulturpolitischen Forderungen in seiner Heimat.
In der Stuttgarter Oper ist so ein ambitioniertes Ausgrabungsunternehmen natürlich Chefsache. Jossi Wieler und Sergio Morabito haben zusammen mit Jens Kilian (Bühne), Anja Rabes (Kostüme) und Chris Kondek (Video) mit bewährtem ästhetischem Scharfsinn und präziser Personenführung inszeniert. Bei ihnen bricht die Oberfläche einer nachvollziehbar realistischen Welt immer wieder auf und offenbart den nur eine Handbreit dahinter liegenden Wahnsinn, das Absurde, das Abgründige, das sich am Ende durchsetzt. Am Pult des Staatsorchesters stand der neue GMD Sylvain Cambreling. Mit spürbarer Hingabe belegte er seinen Ruf, ein Spezialist für die Moderne zu sein. Wobei er der Inszenierung folgt, die weniger auf das grell Bunte der Geschichte setzt, sondern auf die Wirkung der dunklen Seiten, in denen Wagners Tristan-Musik, Debussys Pelléas-Düsternis herüber leuchten und Kafka den Fremdenführer durch die Alptraumwelten gibt. Zum Glück haben weder Wieler noch Cambreling dieses Werk wie einen exotischen Schmetterling aufgespießt oder zu einer schrillen Revue gemacht, sondern ernst genommen und fliegen lassen. Und wir sehen und hören stauend zu! Begeisterter Jubel in Stuttgart.