Foto: Judas (Adrien Papritz) am Klavier © Theater Naumburg
Text:Ute Grundmann, am 7. Dezember 2018
Judas spielt Klavier. Seine Finger wandern über die Tasten, wie selbstvergessen, als sei da außer ihm niemand. Doch es sitzen Zuschauer um ihn herum, die seine Geschichte hören wollen, die Geschichte des Mannes, der Jesus für 30 Silberlinge verriet und damit ans Kreuz brachte. Davon handelt das Stück „Judas“ der niederländische Autorin Lot Vekemans, das Intendant Stefan Neugebauer nun am Theater Naumburg inszeniert.
Judas schnauzt das Publikum erst mal an. „Sind jetzt alle drin?“, fragt er ungeduldig, will endlich anfangen, obgleich es wohl niemanden gibt, der ihn und seine Geschichte nicht kennt. Das sagt er selbst und senkt gleich die Erwartungen, er wolle (nur) das ein oder andere erklären. So beginnt das kurze Drama, gespielt wird im Nietzsche-Dokumentationszentrum, einem schicken Neubau gleich am letzten Wohnhaus des Philosophen. Schwer krank, konnte er keine Menschen mehr erkennen, aber noch Klavier spielen und das tut hier auch Judas (Adrien Papritz, mit eigenen Kompositionen und Improvisationen), eine kluge Verknüpfung von Ort und Text.
Regisseur Stefan Neugebauer hat auch für die Ausstattung des breiten, nicht tiefen Raumes gesorgt: Das Klavier, eine brennende Kerze, einige Teelichter, nur sie beleuchten scheinbar die Szene. Durch sie wandert Judas barfuß, in schwarzem Rollkragenpullover und Cordjeans, lehnt sich mal an eines der großen Fenster, schlägt dagegen. Er erinnert sich sehr liebevoll an „diesen Mann“, an seinen Charakter, will sich nicht entschuldigen oder rechtfertigen. Zwischendurch geht er immer wieder ans Klavier, schlägt harte, laute Töne an. Das alles ist sehr anders als Ben Becker, der sein „Ich, Judas“ in großen Sälen zelebriert. Lot Vekemans dagegen hat eine Mischung aus Monolog und Befragung der Zuschauer geschrieben: „Was hätten Sie denn an meiner Stelle getan?“, fragt die „Ikone des Verrats“ das Publikum, erwartet wohl nicht wirklich eine Antwort.
Der Text könnte auch ein Hörspiel sein, wird es aber dank Adrien Papritz (wieder so eine Entdeckung in Naumburg) nie. Er ist scheinbar gelassen, doch es brodelt in ihm. Er wäre so gern stolz auf seinen Namen, der ihn, wie jeden ersten Sohn, mit seinen Vorfahren verbindet. Er möchte sich der Menschheit erklären, die seit 2000 Jahren vergeblich versucht, ihn und sein Handeln zu verstehen. „Diesen Mann“ nennt er kaum einmal beim Namen, auch sein Tun, den Verrat, benennt er erst sehr spät. Da hat er längst Geldscheine ans Kreuz genagelt, den Messias der heutigen Zeit. Das ist das einzige sichtbare Zeichen der Aktualität in Stefan Neugebauers Inszenierung, aber ein sehr starkes.
„Dieser Mann“ habe das Geschehen so gewollt, er sei bloß dessen Werkzeug gewesen, auf ihn habe „der Mann“ die Schuld übertragen, um die Menschen aufzurütteln. Und nun, am Ende, bekommt die Gelassenheit des Judas doch noch Risse: Kurz schütteln ihn Tränen durch, die Töne des Klaviers klingen weicher als vorher. Dann schlägt er hart den Deckel des Instruments zu, bedankt sich bei seinen Zuhörern und entschwindet leise ins Dunkel. Das Publikum zögerte kurz, ehe es jubelte und voller Respekt aufstand.