Szene aus "Frankenstein"

Der Urschrei des Lebens

Nick Dear: Frankenstein

Theater:Landestheater Schwaben, Premiere:10.12.2021Vorlage:nach dem gleichnamigen RomanAutor(in) der Vorlage:Mary ShellayRegie:Max Claessen

„Wer ist Mensch, wer Monster?“, diese auf dem Programmflyer des Landestheater Schwaben gestellte Frage fasst die Problematik des „Frankensein“ gut zusammen: Da schafft ein Wissenschaftler aus Leichenteilen ein Wesen, als er diesem aber Leben einhaucht, flüchtet er vor dessen Hässlichkeit. Aber nicht nur der Schöpfer flieht vor ihm, sondern auf der Suche nach sich selbst und seiner Geschichte trifft das Wesen nur auf Menschen, die ihn grausam verfolgen und demütigen. Mary Shelley beschreibt in ihrem 1818 erschienenen Roman die Geschichte eines „Monsters“, das in die Welt geworfen, sich auf die Suche nach seinem Schöpfer macht und sich dabei mehr und mehr „vermenschlicht“. Weil er voller Sehnsucht nach Liebe ist, muss er töten, weil er sonst nicht die Aufmerksamkeit seines „Machers“, Viktor Frankenstein, erlangen kann. Eine gute Frage: „Wer ist Mensch, wer ist Monster?“

In Memmingen ist die Bühne von Spiegeln umstellt, die jeweils, hin- und hergeschoben, immer neue Räume öffnen (Bühne: Ilka Meier), aber mehr noch deutlich machen, wie stark narzisstische Züge die Verhaltensweisen von Monster und Schöpfer prägen. Tim Weckenbrock als Wesen und David Lau als Victor Frankenstein spielen diese Spiegelungen groß aus, was allerdings manchmal auch zu eitlen Posen führt. Während Lau seine Rolle eher verdruckst und verklemmt anlegt, führt Weckenbrock ein Geschöpf vor, das ohne Sprache und mangelnder Bewegungsmotorik sich in einer ihm unbekannten Welt ausprobieren muss und dabei nur Ausgrenzung erlebt. Nachdem er bei dem Blinden de Lacey (André Stuchlik) Sprechen und Lesen gelernt hat und die Abgründe menschlicher Vernunft durchschauen kann, wandelt er sich vom verachteten Wesen zum Herrn: Im ewigen Eis am Ende ist Victor der Knecht. Diese Stationen werden im Spiel von Weckenbrock sehr plastisch herausgearbeitet.

Mit dem Rhythmus des Atmens

Ein besonderer Clou der Inszenierung von Max Claessen ist dabei, dass zu Beginn das Wesen wie ein Embryo in einem vom Bühnenboden herabhängenden durchsichtigen Plastiksack gehüllt sich dann langsam aus diesem befreit – wie später auch das Frauwesen, dem Victor aber kein Lebensodem einhaucht –, zuerst eine Hand und dann nach und nach der ganze Körper. Diese Figur ist von keinem der populären Monsterzutaten geprägt, kein „King-Kong“, kein „Godzilla“, kein „Alien“: kurz, hier wird ein menschliches Wesen in die Welt geworfen, dessen Anders-Sein von der Umwelt nicht respektiert wird. Mit den Spiegeln und einer raffinierten Beleuchtungsregie schafft Claessen eine streng formale Ästhetik. Mit den schönen Bildern entwickelt er eine akustische Dramaturgie, die ihre Höhepunkte im Urschrei findet: Sobald um einen Toten getrauert wird, gellt es markterschütternd, insbesondere bei dem Vater von Victor (André Stuchlik). Begegnungen der Gesellschaft mit diesem Wesen enden ebenso in einem Schrei. Franziska Roth, Elias Baumann und Anke Fonferek zeigen da in ihren verschiedenen Rollen eine große Vielfalt.

Der „Schrei“ ist Teil des „Sounds“, den Max Claessen geschaffen hat und die eine eigentümliche Atmosphäre stiften: Klänge, Akkorde und Töne begleiten die gesamte Inszenierung. Mal unterstützen sie die Stimmung einer Handlung, mal bilden sie zu den Ereignissen auf der Bühne einen Kontrapunkt, immer aber entwickeln sie einen Drive, der auch das Spiels des Ensembles beeinflusst. Es ist, als ob dies dem Rhythmus des Atems folgt: nach dem Ausbruch die Phase der Ruhe, des Luftholens, wird der Atem gleichmäßig, bis dann wieder ein Ausbruch folgt. Claessen ist eine spannende ästhetische Lösung gelungen. Schade nur, dass in Bayern nur ein Viertel des Publikums eingelassen werden darf, die Leere des Zuschauerraums lastet auch auf das Verhalten des Auditoriums schwer.