Foto: Szene mit Daniel Todd, Benjamin Popson, Gabriele Rossmanith, Zak Kariithi, Marta Swiderska © Jörn Kipping
Text:Sören Ingwersen, am 20. Februar 2016
Das Glück ist meistens da, wo man selbst nicht ist. Samuel Beckett wusste das, als er seine beiden Clowns Vladimir und Estragon vergeblich nach Godot Ausschau halten ließ. Und die Stipendiaten der „Akademie Musiktheater heute“ wissen es scheinbar auch. In der von ihnen gemeinsam entwickelten Oper „Minibar“ ist der sehnsuchtsentfachende Fluchtpunkt ein Tiger – der ebenfalls durch Abwesenheit glänzt.
Eine Gruppe von Gestrandeten und Getriebenen ist versammelt auf der Studiobühne der Hamburgischen Staatsoper „Opera stabile“. Das verschobene Op-Art-Schachbrettmuster an Boden und Wänden lässt waagerechte Linien schräg erscheinen. Grenzen verschwimmen, Gewissheiten lösen sich auf in dieser „Minibar“ der isolierten Existenzen. Jeder sucht nach seinem ganz persönlichen Glück. Und für jeden bedeutet Glück etwas anderes, weshalb auch Verständigung ein seltener Glücksfall ist.
Während im Libretto von Änne-Marthe Kühne Sätze, Worte und Laute wie wahllos zusammengewürfelte Momentaufnahmen aufeinanderprallen, gönnt Komponist Sven Daigger den neun Orchestermusikern unter der Leitung von Gabriel Venzago kaum Ruhepausen. In maschinenhafter Rastlosigkeit liefern Schlagzeug und Klavier den treibenden Grundimpuls, lassen Akkordeon und Geige flüchtig aufgegriffene Melodien fallen wie eine heiße Kartoffel, loten Saxofon und Klarinette die Extreme der Instrumente aus.
In dieser Welt fragmentierter Klänge den richtigen Einsatz zu finden, ist eine echte Herausforderung für die sieben stimmlich bestens aufgelegten Sängerinnen und Sänger. Deren Geschäftigkeit in dieser „Sitcom Opera in 14 Episodes“ bleibt dabei ähnlich vordergründig wie der Text: Der Lehrer (Dogus Güney) beklagt sich über seine aufsässigen Schüler, der Hörgerätemann (Benjamin Popson) versucht seine desinteressierte Klientel für auditive Genüsse zu sensibilisieren, während die Alte (Marta Swiderska) mit Nadel und Faden an ihrem Stoffhündchen herumstichelt und monotone Stakkato-Cluster die Aerobic-Einlage unter Anleitung des hypnotisch-manipulativen Barmanns (Zak Kariithi) untermalen – der auch gerne Mal einer einsamen Barbesucherin seinen „kleinen Tiger“ zeigt.
Mit gleicher Sänger- und Orchesterbesetzung knüpft Komponist Manuel Durão im zweiten Teil der „Minibar“ mit einer „musikalischen Farce“ ans Geschehen an. Nacheinander betreten die Figuren die Spielfläche. Ein roter Telefonhörer hängt von der Decke herab. Die etwa zehnminütige Stille ist die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Um den Anschluss ans Leben nicht zu verpassen, wird schon bald die Revolution ausgerufen. Orchesterleiter Nikolai Petersen lässt die Musiker hier wie eine Tanzkappelle aufspielen. In seichter Atemlosigkeit fließen die Klänge, überlagern sich die Rhythmen, werden musikalisch weichgespülte Trinksprüche ausgerufen: Revolte als Pop-Event. Ein ruppig-schneidendes, elektronisch verstärktes Cello-Solo dringt wie ein Fremdkörper in den Reigen der mit Papphütchen und Luftschlangen Geschmückten ein, während die Bühne sich in ein Schlachtfeld aus Flaschen, Aktenkoffern, Illustrierten und vom Leib gerissenen Kleidern verwandelt.
Es ist ein etwas belangloser Spaß, aber immerhin ein Spaß, der musikalisch keine Minute langweilt und mit dem die den Opernnachwuchs fördernde „Akademie Musiktheater heute“ der Deutschen Bank Stiftung ihre Kooperation mit der Hamburgischen Staatsoper einläutet. Die Regisseurinnen Natalie Schramm und Hersilie Ewald scheinen zwar etwas überfordert von der Textvorlage, die kaum Anlass zu interaktivem Spiel gibt, liefern aber im Ganzen sehr stimmige Bilder.
Der Grundgedanke zu diesem Abschlussprojekt des zweijährigen Stipendiums, in dessen Rahmen die jungen Künstler Musiktheaterproduktionen und Workshops in unterschiedlichen Städten besuchen, entstand bei einem gemeinsamen Kneipenbesuch in Madrid. So wurde aus einer Schnapsidee eine Oper, die aus zwei musikalisch sehr unterschiedlichen Teilen besteht. Die Glückssucher auf der Bühne gehen am Ende leer aus. Glücklich wähnen sich dafür die rund 120 Besucher, die begeistert Beifall spenden. Und der Tiger? Zeigt sich zum Schluss im Bühnenchaos der gescheiterten Revolution – als zahmes Plüschtier. Immerhin.